Dienstag, 7. Juli 2009

Die Vattenmärchen

Atomkraft? Nein Danke!Es war einmal ein Vatten. Der kam aus einem fernen Land in einer Gegend, die bei den Leuten hierzulande unter dem Namen Skandinavien bekannt ist. Der Vatten betrieb in Deutschland zwei wunderschöne Atomkraftwerke, die ganz viel billigen und sauberen Strom erzeugten. Anno 2007 musste der Vatten aber leider plötzlich seine tollen Atomkraftwerke abschalten, weil die bösen Herrscher im Lande Deutschland wollten, dass seine Atomkraftwerke nach einigen unbedeutenden, klitzekleinen technischen Problemchen erst einmal gründlich untersucht werden sollten, bevor sie wieder ganz viel billigen und sauberen Strom erzeugen durften. Aber schon zwei Jahre später war wieder alles in Butter. Zumindest im Krümmelkraftwerk waren alle Probleme beseitigt. Die Anlage war jetzt sicher wie noch nie ...


Nachdem es zwei Jahre lang wegen eines Tranfsformatorenbrandes abgeschaltet war, gab Vattenfall Anfang Juni bekannt, sein Atomkraftwerk Krümmel sei nach aufwändigen Sicherheitsüberprüfungen wieder betriebsbereit. Deshalb wolle man es wieder an's Netz bringen. Außerdem versprach der Betreiber des Atomkraftwerks Besserung bezüglich der Einhaltung seiner Informationspflicht gegenüber der Atomaufsichtsbehörde des Landes Schleswig-Holstein. Am Freitag dem 19. Juni 2009 war es dann soweit: Der auf sechs Tage veranschlagte Neustartprozess wurde initialisiert, und nachdem das Atomkraftwerk daraufhin ganze 16 Tage lang mit "nur einer" Unterbrechung am 1. Juli aufgrund eines "kleinen Problems" mit einem Transformator in Betrieb gewesen war, gab es am Samstag dem 4. Juli erneut einen schweren Kurzschluss in einem Transformator. Betroffen war der zweite der beiden Transformatoren, von denen der erste nach einem Kurzschluss im Sommer 2007 in Brand geraten war. Das hatte damals zur zweijährigen Abschaltung des Kraftwerks geführt. Nach dem aktuellen Kurzschluss wurde der Reaktor auch jetzt wieder wieder automatisch abgeschaltet und die Anlage vom Netz getrennt.

Außerdem wurde dieses Mal auch die Atomaufsicht einigermaßen zeitnah benachrichtigt - allerdings von der Polizei anstatt von Vattenfall. Polizisten waren beim Abräumen von Absperrungen nach einer Demonstration von Atomkraftgegnern wegen der vorangegengenen Trafo-Panne am 1. Juli 2009 zufällig auf den Vorfall im Atomkraftwerk aufmerksam geworden.

Frau Trauernicht (SPD, Sozialministerin, Schleswig-Holstein) sagte am 06.07.2009 in einer Sendung des NDR, Vattenfall habe die üblichen Meldewege nicht eingehalten und habe kein Gespür für die Situation gehabt. Sie habe erst auf Nachfrage von Vattenfall die relevanten Informationen bekommen. Das sei völlig unakzeptabel. da hat sie Recht! Das Verhalten von Vattenfall kommt mir irgendwie so seltsam bekannt vor. Das kennen wir doch alles schon vom letzten Mal vor zwei Jahren.

Und zufällig waren die Folgen auch dieses Mal wieder schlimmer als es zuerst den Anschein hatte. Und genau wie vor zwei Jahren entschuldigt man sich auch dieses Mal für die "Informationspannen" und bedauert, dass es durch die Schnellabschaltung erneut zu einer Verunsicherung der Bevölkerung gekommen ist. Klar bedauert man das. "Verunsicherte Bevölkerung" ist auf die Dauer schlecht für's Geschäft. So langsam kommt man nämlch doch in Erklärungsnot, warum man die "verunsicherte Bevölkerung" unverantwortlicherweise erneut dieser Gefahr ausgesetzt hat. Nach Informationen des Spiegel ist das Atomkraftwerk Krümmel nämlich offenbar nur knapp einem ähnlich folgenschweren Trafobrand entgangen.


Das Märchen
von der Beherrschbarkeit der Atomkraft


Für den Kurzschluss in dem 33 Jahre alten Transformator habe Vattenfall bisher keine Erklärung. Nach dem neuen Kurzschluss habe es in der Folge Schäden während der Schnellabschaltung gegeben. So sei es aufgrund eines defekten Brennelements zu erhöhter Radioaktivität im Reaktorwasser gekommen, die Kühlung des Reaktorwasser-Reinigungssystems habe Probleme verursacht und außerdem sei noch die Elektronik für die Steuerung einer Sicherungsmutter beschädigt gewesen.

Aufzeichnungen, die Aufschluss über die Umstände der Schnellabschaltung des Reaktor geben könnten liegen nicht vor, da die im Zusammenhang mit der Wiederinbetriebnahme von der Atomaufsicht des Landes Schleswig-Holstein vorgeschriebene Audio-Überwachung im Atomkraftwerk Krümmel zur Zeit des Kurzschlusses nicht in Betrieb gewesen sei. Gegen die Audio-Überwachung hatte Vattenfall beim Oberverwaltungsgericht Schleswig geklagt, hatte sich letztlich zwar zur Installation der Anlage bereit erklärt, diese dann aber zunächst nicht in Betrieb nehmen wollen - es seien vorher noch Fragen zum Datenschutz zu klären. Na ja: Das mit dem Datenschutz hat Vattenfall dann ja wirklich gut hinbekommen - jedenfalls soweit es die Geheimhaltung möglicher Fehler aufgrund der inaktiven Audio-Überwachung betrifft. Die mangelhafte Informationspolitik des Atomkraftwerkbetreibers konnte, Dank der Demonstration vor dem Kraftwerk und der Aufmerksamkeit der deswegen anwesenden Polizisten, allerdings auch nach diesem Vorfall nicht lange geheim gehalten werden.

Und - wie sollte es anders sein - auch jetzt ist Vattenfall von der Sicherheit seines Atomkraftwerks absolut überzeugt, und will es unbedingt wieder ans Netz zu bringen. Es sei noch eine Laufzeit von acht bis neun Jahren geplant. Genau wie vor dem erneuten Anfahren des Atomkraftwerks Krümmel nach der zweijährigen Abschaltung versichert Vattenfall auch dieses Mal, man werde das Atomkraftwerk erst wieder in Betrieb nehmen, wenn alle technischen und organisatorischen Fragen "eindeutig" geklärt seien. Auch diese gebetsmühlenartig immer wiederholten Beteuerungen kennen wir schon aus der Zeit nach dem Transformatorenbrand im Sommer 2007. Zumindest angesichts der "eindeutigen" Sicherheit des defekten Transformators, des defekten Brennelements, der problematischen Kühlung des Reaktorwasser-Reinigungssystems, sowie der defekten elektronischen Steuerung der Sicherungsmutter frage ich mich ernsthaft, was denn beim nächsten erneuten Anfahren des Atomkraftwerks Krümmel noch alles passieren muss, bevor es endlich abgerissen wird.


Das Märchen
von der Zuverlässigkeit


Das einzig positive an diesem erneuten haarsträubenden Vorfall im Zusammenhang mit einem Vattenfall Atomkraftwerk ist, dass die für die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein zuständige Frau Trauernicht (SPD, Sozialministerin, Schleswig-Holstein), eine erneute Zuverlässigkeitsprüfung des Betreibers Vattenfall anordnete. Nach der Zuverlässigkeitsprüfung aufgrund der Vorfälle im Jahre 2007 hatte sie die Zuverlässigkeit anhand der Kriterien des Atomgesetzes unter anderem deswegen aussprechen müssen, weil Vattenfall versichert hatte, sich künftig an seine Meldepflicht zu halten. Jetzt hat der Konzern erneut demonstriert, wie genau er es damit nimmt. Außerdem hat Vattenfall eindeutig gegen Auflage verstoßen, bei Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerks Krümmel auch die Audioüberwachung in Betrieb zu nehmen. Auch das zeugt nicht von Zuverlässigkeit. In die gleiche Bresche schlägt auch Frau Künast (Grüne). Diese hat Vattenfall die Eignung für das Betreiben von Atomkraftwerken aufgrund der ewigen Pannen im Atomkraftwerk Krümmel schon jetzt generell abgesprochen. Es zeuge von gefährlichem Dilettantismus, dass Vattenfall das Atomkraftwerk Krümmel in nur zwei Wochen zweimal vom Netz nehmen musste.

In der Presse und den Fernsehnachrichten wurde berichtet, dass der Kurzschluss im Atomkraftwerk Krümmel schweren Störungen im Stromnetz von Hamburg und Teilen von Schleswig-Holstein zur Folge hatte. Die meisten Ampeln in Hamburg seien ausgefallen, und im Hamburger Wasserleitungsnetz seien durch den Ausfall große Schäden entstanden, weil sich alle Pumpen nach der unerwarteten Spannungsunterbrechung plötzlich gleichzeitig wieder einschalteten. Infolge der Rohrbrüche sei es auch zu Wasserschäden in Wohnhäusern gekommen. Der Atomkraftwerksbetreiber Vattenfall habe erklärt, er habe davon keine Kenntnis, und habe lediglich eingeräumt, dass sich aufgrund des Spannungseinbruchs von weniger als einer Sekunde einzelne Kundenanlagen vom Netz getrennt hätten, und dass sich ein Einkaufszentren und Industriebetriebe beschwert hätten. Er sehe sich nicht in der Pflicht, für die durch den Kurzschluss in seinem Atomkraftwerk verursachten Schäden aufzukommen.


Das Märchen
von der Kompetenz


Drei Tage nach Beginn des Neustartprozesses im Atomkraftwerk Krümmel berichtete der Spiegel, Vattenfall hoffe sein ebenfalls seit zwei Jahren abgeschaltetes Atomkraftwerk Brunsbüttel im Kreis Dithmarschen noch in diesem Jahr wieder in Betrieb nehmen zu können. Es war im Juni 2007 nach einer Pannenserie ebenfalls vom Netz genommen worden. Der Spiegel zittierte Herrn Tuomo Hatakka (Vattenfall Europe, Vorstandsvorsitzender) am 22.06.2009 mit den Worten:
  • "Ich hoffe, dass die Wiederinbetriebnahme noch in diesem Jahr stattfinden wird. Wenn wir es in Krümmel schaffen, sehe ich keinen Grund, dass wir es in Brunsbüttel nicht schaffen. Wir wissen, was zu tun ist und arbeiten daran."
Das ist jetzt aber dumm gelaufen für Herrn Hatakka und seinen Vattenfall Konzern. Mit der Wiederinbetriebnahme seines Atomkraftwerks in Krümmel ist es ja nun nicht gerade so toll gelaufen. Dort wurde wieder einmal bewiesen, dass Vattenfall zumindest bezüglich der Einhaltung behördlicher Auflagen und seiner Informationspflicht gegenüber der Atomaufsichtsbehörde nicht weiß, was zu tun ist. Wie es mit seinem Wissen aus technischer und personeller Sicht aussieht, wird sich allerdings wohl nicht so leicht nachweisen lassen - nicht zu zuletzt auch wegen des Verstoßes gegen die Pflicht zur Audioüberwachung der Vorgänge im Kraftwerk.


Das Märchen
von der billigen Atomkraft


Wenn das Atomkraftwerk Krümmel vor zwei Jahren endgültig stillgelegt worden wäre, dann hätte Vattenfall 300 Millionen Euro sparen können, die für die Reparatur und die Überprüfung des Atomkraftwerks Krümmel ausgegeben wurden. Laut Vattenfall kämen noch Umsatzausfälle für nicht produzierten Atomstrom, den offensichtlich auch niemand gebraucht hat, von einer Million Euro pro Stillstandstag hinzu. Jetzt wissen wir also, warum Krümmel auf Drängen von Vattenfall unbedingt noch acht bis neun Jahre laufen soll. Allein ungefähr ein Jahr wird es dauern, bis die Reparatur des ersten Trafos bezahlt ist. Wenn der neue Kurzschluss genau so teuer werden sollte, dann werden es jetzt schon zwei Jahre sein, die der Reaktor nur zur Deckung der Reparaturkosten laufen müsste.

Ich würde so etwas als unwirtschaftlich bezeichnen, zusehen, dass ich den Pannenreaktor loswerde, und mich freuen dass ich noch einmal so glimpflich davon gekommen bin. Wenn Vattenfall ebenso vernünftig handeln würde, dann würde der Energiekonzern aber zugeben, dass die Geschichte von der billigen, sauberen und sicheren Atomkraft nichts weiter als ein schönes Märchen gewesen ist. Und das geht natürlich auf gar keinen Fall.


Das Märchen
von der Unverzichtbarkeit der Atomkraft


Der von den Atomkraftwerksbetreibern immer wieder prognostizierte Zusammenbruch der Energieversorgung ist auch nach dem gleichzeitigen zweijährigen Ausfall der beiden Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel nicht eingetreten. Statt dessen hat es lediglich einen zweijährigen finanziellen Zusammenbruch beim Umsatz des Vattenfall-Konzerns gegeben. Im Jahre 2008 lieferten Atomkraftwerke 11,6 Prozent der in Deutschland verbrauchten Primärenergie, während 7,4 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt wurden. Bezogen auf den heutigen Verbrauch soll nach dem Willen der Bundesregierung bis zum Jahr 2025 allein der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung auf 25 Prozent steigen.



"Und wenn sie nicht gestorben sind, ..."

Um sicherzustellen, dass nicht erst noch unzählige unschuldige Menschen sterben und große Teile Norddeutschlands verwüstet werden, ist es an der Zeit, das Märchenbuch jetzt zuzuklappen und zur Realität zurückzukehren.

Politiker, die bei ihrem Amtsantritt schwören,

'ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen,
seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden',

aber gleichzeitig lautstark verkünden die Bevölkerung weiterhin der Gefahr dieser hochgefährlichen Technologie aussetzen zu wollen haben in meinen Augen jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit verloren. Nur dann, wenn diese Handlanger der Atomlobby nach der Bundestagswahl im September 2009 keine Möglichkeit haben, ihre Vorhaben in die Tat umzusetzen, besteht eine wirkliche Chance, dass es auch in den Vattenmärchen am Ende irgendwann heißen kann:

"... dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden."


Karte: AKW Standorte und Restlaufzeiten
ARD Sondersendung: Wie betroffen ist der Norden?


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