Sonntag, 14. August 2011

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten

Klassenfahrt 1970: An der "Zonengrenze"
Während einer internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961 in Ost-Berlin fragte Frau Doherr (Frankfurter Rundschau, Journalistin) Herrn Ulbricht (DDR, Staatsratsvorsitzende): "Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?"

Herr Ubricht beantwortete ihre Frage mit den Worten: "Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."


Eine unnormale Normalität

Der "Eiserne Vorhang" zwischen dem Osten und dem Westen Deutschlands
Diese Antwort Walter Ulbrichts ging bald darauf als dreiste Lüge in die Geschichtsbücher ein. Bereits zwei Monate nach jener Pressekonferenz begann mit der Errichtung der Berliner Mauer am 13. August 1961 der letzte Veruch der damaligen DDR-Führung, die Bürger aus dem Osten Deutschlands an der "Flucht" in den Westen zu hindern. Es verging mehr als ein viertel Jahrhundert, bis sich die weltpolitische Lage änderte und die Bürger der DDR am 9. November 1989 damit begannen, die Mauer niederzureißen. Bis dahin waren in Berlin weit mehr als einhundert Menschen von DDR-Grenztruppen ermordet worden, als sie versuchten, die Grenzbefestigungen in Richtung Westberlin zu überwinden.

Nur wenige Reste der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs, der Deutschland einmal von Nord nach Süd in zwei Hälften geteilt hatte, sind heute als Gedenkstätten oder Museen erhalten geblieben. Die beiden Schwarz-Weiß-Fotos habe ich 1970 während der Rückfahrt von einer Klassenfahrt ins Weserbergland aufgenommen. Noch wenige Jahre vor dem "Fall" der Mauer stand ich mit meiner Frau während einer Wanderung durch das "Höllental" in Franken auf einem Berg, von wo aus wir auf ein Dorf in der DDR hinunterblicken konnten. Häuser, Tiere, Bäume, Menschen ... - all das schien zum Greifen nah. Trotzdem war das Dorf für uns unerreichbar. Wer wie ich während des Kalten Kriegs zwischen den Staaten der Nato und des Warschauer Pakts aufgewachsen ist, der hatte sich jedoch kaum vorstellen können, dass sich an dieser unnormalen Normalität zu seinen Lebzeiten einmal etwas ändern würde.


Die Mahnung gegen totalitäres Denken und Handeln ...

Flüchtiger Blick aus dem fahrenden Bus nach Berlin auf die ehemalige Grenzkontrollstelle
In der Tagesschau war gestern Herr Wulff (Bundespräsident) zu sehen, wie er im Rahmen einer Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Mauerbaus dazu aufrief, weltweit für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Er sagte, die Erinnerung an das Unrecht mahne dazu, jene nicht allein zu lassen, die für diese Werte kämpfen. Ebenso mahnte auch Herr Wowereit (Berlin, Regierender Bürgermeister), der Kampf gegen totalitäres Denken und Handeln dürfe nicht nachlassen.

Leider müssen wir aber immer wieder erleben, dass diese mahnenden Worte vor dem Hintergund der Hoffnung auf fette Gewinne schnell wieder in Vergessenheit geraten. In der Realität verhandeln deutsche Politiker mit Politikern totalitärer Staaten, denen die Menschenrechte keinen Pfifferling wert sind, um den Boden für die Geschäfte deutscher Konzerne zu bereiten. Und es sind die gleichen Politiker, die sich über die Arbeitslosigkeit in Deutschland beklagen, die deutschen Konzernen damit die Möglichkeit eröffnen, ihre Produktion in ebendiese Staaten zu verlagern, und die Menschen dort ebenso auszubeuten, wie es deren staatliche Firmen vormachen.


... und die Wirklichkeit

Mauerreste in Berlin
Und leider gibt es auch ein Vierteljahrhundert nachdem die ersten Breschen in die Berliner Mauer gerissen wurden immer noch Zeitgenossen, in deren Köpfen die Mauer bis heute überdauert hat. Das wurde erneut deutlich, als vor wenigen Tagen einige Mitglieder der Linken meinten, zum Mauerbau habe es keine Alternative gegeben, und als sich die Teilnehmer des Parteitags der Linken zum Gedenken an die Todesopfer an der deutsch-deuschen Grenze erhoben, einige unter ihnen aber demonstrativ auf ihren Stühlen sitzen blieben.

Solange es noch Politiker in den Reihen der Linken gibt, die derartige Ansichten vertreten, werden es die Vorsitzenden dieser Partei weiterhin schwer haben, Gehör zu finden, wenn sie betonen, dass die PDS, eine ihrer die Vorgängerparteien (und direkte Nachfolgepartei der SED), sich nach der Wende bei den Bürgerinnen und Bürgern der DDR entschuldigt und ihre Geschichte aufgearbeitet habe. Auch wenn sie klar stellen, die Lehre aus dem Mauerbau heiße, dass demokratischer Sozialismus Mehrheiten brauche und nicht erzwungen werden könne, und auch wenn sie sich darüber beklagen, dass die Idee des Sozialismus im Zusammenhang mit dem Mauerbau immer missbraucht und diskreditiert worden sei und bis heute dazu genutzt werde, jegliche Suche nach grundlegenden Alternativen zu diskreditieren, werden sie bei anderen Parteien und deren Anhänger leider wohl auch zukünftig auf taube Ohren stoßen.


Der Eiserne Vorhang


(Quellen: Tagesschau vom 13.08.2011 - Beitrag 1 und Beitrag 2,, Focus vom 13.08.2011, TAZ vom 13.08.2011, Stern vom 13.08.2011 und vom 11.08.2011, Wikipedia)

6 Kommentare:

Dentier hat gesagt…

Hallo Jürgen, als im Osten aufgewachsener habe ich einen etwas anderen Geschichtsunterricht genossen. Mit den jetzt zusätzlich verfügbaren Informationen würde ich ebenfalls zustimmen, das der Mauerbau alternativlos war und das dieser in Moskau beschlossen wurde und nicht durch Ulbricht. Ohne Mauer wären Panzer gerollt. Und das wollten weder die Sowjets noch die Amerikaner und deshalb haben diese auch stillgehalten.

juwi hat gesagt…

@Dentier: Falls du hier noch einmal nachlesen solltest: Könntest du mir irgendwelche Quellen nennen, wo ich deine Info bezüglich des in Moskau beschlossenen Mauerbaus nachlesen kann?

Frau Momo hat gesagt…

Ich finde die Äußerungen von Frau Lötzsch und Co. unsäglich. Ich hege ja durchaus Sympathien für die Linke und hier in Hamburg machen sie gute Oppositionspolitik, wofür sie auch verdienen gewählt zu werden. Was mir allerdings dann unmöglich ist, wenn ich auf den Wahllisten alte DKP Leute sehe.
Ansonsten würde ich differenzieren zwischen der Linken hier und der Linken im Osten. Hier ist sie wohl mehr WAGS geprägt und damit für mich durchaus auch wählbar. Und auch bundespolitisch für mich durchaus eine Option, zumal das, was ich sonst immer gewählt habe, sich samt und sonders in die Unwählbarkeit manovriert hat, vor allem hier in Hamburg die Grünen.

juwi hat gesagt…

@Frau Momo: Die Unterschiede zwischen "Linke-Ost" und "Linke-West" sehe ich ähnlich wie du. Auf kommunaler oder auf Landesebene hat sich die Linke aber auch für mich durchaus zu einer Alternative entwickelt. Bliebe nur die Frage, ob deren Politiker ihre Visionen und Ideen auch tatsächlich umsetzen können und wie sie das verwirklichen wollen. Letztlich muss ja doch wieder alles irgendwie finanzierbar sein. Um das feststellen zu können, müssten sie allerdings auch die Chance dazu bekommen. Auf Bundesebene sind die Linken für mich solange keine Alternative, wie die alten Betonkommunisten aus den Zeiten der KPD, der DKP und der SED noch im Hintergrund mitmischen und gerne immer mal wieder auch öffentlich ihre Mauerträume kundtun. | Wenn daran, was Dentier in seinem Kommentar andeutet, etwas dran sein sollte, dann wären die Todesopfer an der Mauer und am Eisernen Vorhang immer noch unschuldige Opfer eines unmenschlichen "Schießbefehls". Die Täter wären immer noch Täter, die auf ihre eigenen Landsleute geschossen haben und die Schuld des verlogenen Herrn Ulbricht und seiner Genossen ließe sich bestenfalls geringfügig auf eine Art feige Mittäterschaft abmildern. Auch in der DDR war niemand gezwungen, eine Karriere bis in die höchste Führungsebene der SED anzustreben. Jeder, der dort politisch tätig wurde, war freiwillig ein Teil des Systems. Allerdings würden dann, wenn an den Andeutungen Dentiers etwas dran sein sollte, noch etliche dunkle Flecken auf der schmutzigen Weste der damaligen Sowjetunion hinzukommen. In Anbetracht der Ereignisse am 17. Juni 1957 in Berlin, und später in Ungarn oder in Tschechien würde mich das auch nicht mehr überraschen. | Es ist nur gut, dass die Armee der DDR am Ende nicht doch noch auf die Teilnehmer an den Montagsdemonstrationen geschossen hat. Eine solche Schuld hätten die SED-Oberen dann nämlich nicht mehr auf die Sowjetunion abschieben können. Dazu waren die Differenzen zwischen den Positionen der Herren Gorbatschow und Honnecker dann nämlich doch zu offensichtlich.

Wolfgang aus Greifswald hat gesagt…

guck mal hier:
http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/day/24/month/Juli/year/1961
Dort und an den Tagen rundherum stellt sich für mich raus, daß es in erster Linie Ulbricht war, der die Mauer wollte und so lange in Moskau "dremmelte", bis Chruschtschow und seine Leute einwilligten und das wie IHREN Befehl aussehen ließen. Genauere Auflistungen von ZeitDokumenten hab ich nicht gefunden.
LGr aus der nachtdunkelmildwindigen Stadt am Meer vom Wolfgang.

juwi hat gesagt…

@Wolfgang: Danke für den Hinweis. Zitat aus der von dir genannten Seite: "... In einer außerordentlichen Sitzung bestätigt das SED-Politbüro die Linie der Rede, die Walter Ulbricht auf der Tagung des Politisch-Beratenden Ausschusses der Warschauer Vertragsstaaten Anfang August in Moskau halten will. Im ersten Teil dieser Rede, die im Bundesarchiv überliefert ist und 1997 komplett dokumentiert wurde (Otto 1997), begründet Ulbricht noch einmal, warum ein Abschluss des Friedensvertrages und "die Regelung des Westberlin-Problems" aus seiner Sicht "jetzt unaufschiebbar" geworden seien. ..." - Das hört sich allerdings völlig anders an, als die Version der Geschichte wie Dentier sie darstellt. Ich werde einmal recherchieren, ob es möglich ist, den dokumentierten Text aus dem Bundesarchiv nachzulesen.

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