Donnerstag, 11. Juli 2013

Im Land der Schatten ist die Wahrheit eine Lüge

Man hätte es sich ja eigentlich denken können - und man dachte es wohl auch, dass die Geheimdienste Deutschlands und anderer Staaten, ebenso daran interessiert sind, zu wissen, was die Bürger so treiben, wie diejenigen der USA (NSA) und Großbritaniens (GCHQ).

Einem Bericht des Spiegel vom 07.07.2013, der auf ein Interview mit Herrn Snowden Bezug nimmt, ist zu entnehmen, dass die Zusammenarbeit zwischen der NSA und dem Bundesnachrichtendienst (BND) offenbar deutlich intensiver ist, als bis dahin bekannt war. Herrn Snowden zufolge habe die NSA die Analyse-Tools für den Lauschangriff des BND auf ausländische, durch Deutschland führende Datenströme zur Verfügung gestellt. Im Fokus des BND stünde dabei unter anderem die Nahost-Strecke mit den darüber gesendeten Datenpaketen aus den Krisenregionen. Herr Schindler (BND, Präsident) habe die Zusammenarbeit mit der NSA den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums gegenüber bestätigt.


Nichts gewusst?

Angesichts des dank Herrn Snowden inzwischen bekannt gewordenen Umfangs der Schüffelei in der Privatsphäre der Bürger und in den politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten der "lieben Freunde" stellt sich mir die Frage, wie tief die Politiker und die jeweiligen Bundesregierungen in diesen Skandal verwickelt sind oder waren, beziehungsweise, welchen Einfluss sie überhaupt darauf haben, dass die Geheimdieste sich zumindest innerhalb des von der Politik gesetzten "rechtmäßigen Rahmens" bewegen - wobei Recht und Moral in diesem Metier wohl ohnehin wenig miteinander zu tun haben werden.

Diese Annahme bestätigt unter anderem auch der Bericht des Spiegels (Zitat):
.. Dabei enthüllt er (Anm.: Herr Snowden) ein bemerkenswertes Detail zum Schutz von Entscheidungsträgern: Die Zusammenarbeit werde so organisiert, dass Behörden anderer Länder "ihr politisches Führungspersonal vor dem 'Backlash' schützen" können, falls herauskommen sollte, wie "massiv die Privatsphäre von Menschen missachtet wird." ..
Eine umfangreiche Aufklärung bezüglich der Verantwortung einzelner Politiker wird daher wohl kaum zu erwarten sein. Allerdings ziehen Fachleute, wie beispielsweise Herr Polli (Österreich, Verfassungsschutz, ehemaliger Präsident) die Ahnungslosigkeit deutscher Politiker und ihrer Behörden generell in Zweifel. Ihm sei das Spionageprogramm "Prism" der NSA unter anderem Namen bekannt gewesen (im Fall der Veröffentlichungen des US-amerikanischen Whistleblowers Tom Drake war von einem "Projekt Trailblazer"  zur umfassenden weltweiten Überwachung die Rede). Darum wäre es "widersinnig und unnatürlich", wenn die deutschen Behörden nichts gewusst hätten.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 07.07.2013 auf ihrer Internetseite, unter Hackern gelte es schon lange als sicher, dass ausländische Geheimdienste in Deutschland große Netzknoten wie De-Cix in Frankfurt anzapfen würden. Dafür würden sie sich an große amerikanische und deutsche Netzprovider, Hoster oder Dienste wenden, die Breitbandnetze zur Verfügung stellen". Die Süddeutsche Zeitung bezieht sich dabei auf eine Aussage von Frau Kurz (Chaos Computer Club).

Herr Snowden beantwortet die Frage, ob deutsche Behörden oder deutsche Politiker in das Überwachungssystem der USA verwickelt sind, mit einem klaren "ja" (ZDF-Heute vom 07.07.2013, Zitat):
.. Ja natürlich. Die (NSA-Leute) stecken unter einer Decke mit den Deutschen, genauso wie mit den meisten anderen westlichen Staaten. Wir warnen die anderen, wenn jemand, den wir packen wollen, einen ihrer Flughäfen benutzt – und die liefern ihn uns dann aus. Die Informationen dafür können wir zum Beispiel aus dem überwachten Handy der Freundin eines verdächtigen Hackers gezogen haben, die es in einem ganz anderen Land benutzt hat, das mit der Sache nichts zu tun hat. Die anderen Behörden fragen uns nicht, woher wir die Hinweise haben, und wir fragen sie nach nichts. So können sie ihr politisches Führungspersonal vor dem Backlash (deutsch etwa: Rückschlag) schützen, falls herauskommen sollte, wie massiv weltweit die Privatsphäre von Menschen missachtet wird. ..

Auch Herr Drake weiß wovon er spricht, wenn er die Ahnungslosigkeit hierzulande bezweifelt. Bis er das, was bei der NSA geschah, nicht mehr vertreten konnte, war er einer ihrer Führungskräfte und hat die Macht des Überwachungsapparats am eigenen Leib erfahren müssen. In einem Filmbeitrag des ARD Weltspiegels vom 07.07.2013 sagte er (Zitat):
"Ich kann Ihnen nichts über die aktuellen Operationen sagen. Aber ich weiß persönlich von geheimen Absprachen zwischen der NSA und dem BND. Die haben zusammengearbeitet und sich Zugang zu ihren Systemen ermöglicht. Ich glaube, auch beim BND kocht bald ein Skandal hoch. Ich halte es für Wahrscheinlich, dass auch der BND eigene Vereinbarungen mit Internetanbietern hat. Natürlich geheim. Und dass dies vielleicht von hochrangigen Politikern gedeckt wird."
Beweise könne er dafür nicht liefern. Als das FBI seine Wohnung durchsucht habe, seien seine Computer beschlagnahmt und alles mitgenommen worden.


Freiheit gibt es nicht umsonst

Herr Drake meint, dass Herr Snowden die Kopien an sicheren Orten deponiert habe, könne seine Lebensversicherung sein. Er ist davon überzeugt, dass die Regierung alles versuchen werde, um Herrn Snowden mundtot zu machen (Zitat):
"Sein Leben ist in Gefahr. Es gibt Elemente in der Regierung, die ihn unter allen Umständen ausschalten wollen. Die können das. Das ist die dunkelste der dunklen Seiten der Macht."
Er selbst habe das Schlimmste hinter sich. Doch der Preis, dafür sei hoch gewesen (Zitat).
"Ich hätte nie gedacht, dass ich zu einem Kriminellen würde, nur weil ich die Wahrheit gesagt habe, die meine Regierung nicht hören will. Freiheit gibt es nicht umsonst. Wenn Bürger jetzt nicht ihre Rechte verteidigen, wird alles noch schlimmer."
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Spionage-Vorwürfe gegen Herrn Drake nicht aufrecht erhalten können. Er wurde lediglich zu einem Jahr auf Bewährung wegen "Missbrauch eines Computersystems" verurteilt. Fast alles, was Herr Snowden jetzt enthüllt, hatte Herr Drake bereits öffentlich gemacht.


Misstrauen gegen Freundschaft

Als gesichert kann anhand eines weiteren Berichts des Spiegels (ebenfalls vom 07.07.2013) wohl angenommen werden, dass "deutsche Behörden" gerne mal ihr Einverständnis zu den Aktivitäten der USA auf deutschen Boden geben, dann aber in solchen Angelegenheiten nicht mehr viel zu sagen haben.
  • So sei ein neuer Stützpunkt der US-Armee, den auch die NSA nutzen soll, mit den deutschen Behörden abgesprochen. In Wiesbaden werde derzeit ein neues "Consolidated Intelligence Center" errichtet, in dem für 124 Millionen Dollar abhörsichere Büros und ein Hightech-Kontrollzentrum entstehen. Bei dem Neubau würden die Amerikaner nur auf Landsleute vertrauen!

Das scheint mir doch ein "etwas merkwürdiges Freundschafts- und Vertrauensverhältnis" zu sein, wenn unsere sogenannten "amerikanischen Freunde" sich für "unsere Freundschaft" mit Misstrauen bedanken! Was dort in Wiesbaden - wie "Heise Telepolis" es auf seiner Internetseite in einem Artikel 07.07.2013 formuliert - 'mit Tolerierung durch den BND' entsteht, wird in meinen Augen so etwas wie eine Exclave der USA mitten in Deutschland mit einer Geheimdienstzentrale der NSA werden. Auf Inhalt und Umfang der dortigen Aktivitäten wird die deutsche Politik später aber wohl kaum noch Einfluss nehmen können - selbst dann nicht wenn von dem neuen "Consolidated Intelligence Center" Verstöße gegen deutsches oder europäisches Recht ausgehen sollten.

Da stellt sich dann die Frage, ob die Zustimmung des BND für den Bau des "Consolidated Intelligence Centers" ausreicht, oder ob die Aktivitäten der USA in Wiesbaden durch die Bundesregierung abgesegnet sind. Möglicherweise haben unsere Behörden die Amerikaner aber auch in diesem Fall mal wieder 'nicht gefragt, was genau sie dort vorhaben, und die Amerikaner haben unsere Behörden nach nichts gefragt'. Diese Methode scheint ja ganz gut zu funktionieren, entbindet die Politik und deren Behörden aber nicht von ihrer Verantwortung denen gegenüber, deren demokratische Interessen sie zu vertreten haben!


Zurück zur guten alten Briefpost?

Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, die meinen, sie könnten der Bespitzelung durch die Geheimdienste entgehen, indem sie statt E-Mails wieder Briefe auf Papier schreiben, haben inzwischen zur Kenntnis nehmen müssen, das sie sich damit wohl geirrt haben. Dem Artikel der Süddeutschen Zeitung zufolge überwachen die Sicherheitsbehörden in den USA nicht nur weltweit im großen Stil die Telefon- und Internet-Kommunikation, sondern fotografieren auch die Adressdaten der Sender und Empfänger von Postsendungen. Auch diese Daten würden gespeichert und den Sicherheitsbehörden zugänglich gemacht.

Inzwischen wurde bekannt, dass auch die Deutsche Post jede Briefadresse abfotografiert. Nach Aussage eines Sprechers der Deutschen Post würden die Adressen jedoch nicht weitergegeben, sondern für interne Zwecke wie dem korrekten Briefversand verwendet und anschließend automatisch gelöscht werden. Da kann man nur hoffen, dass es sich damit tatächlich so verhält. Ansonsten könnte ich mich schon verdächtig machen, indem ich infolge einer nostalgischen Anwandlung ausnahmsweise einmal einen Brief auf Papier an einen Freund schicke, mit dem ich sonst nur per E-Mail oder Telefon kommuniziere. Einer der Herren mit dem Schlapphut könnte sich ja die Frage stellen: "Warum schreibt der jetzt einen Brief? Hat der etwa etwas zu verbergen?"


  • "Im Land der Schatten ist die Wahrheit eine Lüge"
    Tom Drake



(Quellen: Spiegel vom 07.07.2013 - Bericht 1 und Bericht 2, Frankfurter Rundschau vom 07.07.2013, Süddeutsche Zeitung vom 07.07.2013, Heise online vom 07.07.2013, Weltspiegel vom 07.07.2013, Tagesschau vom 07.07.2013, ZDF-heute vom 07.07.2013, Deutsche Welle vom 07.07.2013, Wikipedia)

1 Kommentar:

Helmut hat gesagt…

Dieser Aufschrei unserer Politiker ist nichts als Heuchelei. Es wird offenbar, daß auch fast 70 Jahre nach Ende des 2 Weltkrieges die Deutschen im eigenen Land nichts zu sagen haben. Die amis regieren durch.

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