Montag, 20. Februar 2012

Ein beinahe gemeinsamer Kandidat

Kurzzeitig muss Frau Merkel (CDU, Bundeskanzlerin) gestern Abend ja ziemlich in Erklärungsnot geraten sein. Oder hatte sie es möglicherweise schon so kommen sehen und für den Notfall einen Text vorbereitet?

Herr Gauck war ja bereits beim letzten Mal der bevorzugte Kandidat der SPD für das Amt des Bundespräsidenten gewesen. Wir erinnern uns: Frau Merkel, der CDU, der CSU und der FDP war es damals aber nach mehreren Anläufen doch noch gelungen Herrn Wulff in das Amt zu hieven. Unter allen weiteren zur Auswahl stehenden Kandidaten hätte nach dem Willen von Frau Merkel Herr Gauck auf gar keinen Fall Bundespräsident werden dürfen.

Obwohl es seitens der Schwarz-Gelb Gestreiften nach dem Rücktritt Herrn Wullfs hieß, der nächste Kandidat solle ein von der Regierungskoalition und der Opposition gemeinsam getragener Kandidat sein, hatte Frau Merkel auch jetzt Herrn Gauck, gleich nachdem er von der SPD erneut vorgeschlagen worden war, vehement abgelehnt. Als sie gestern erfuhr, dass sich die FDP dem Vorschlag der SPD angeschließen wollte, war es wohl gut für sie, dass in dem Moment nicht gerade eine Fernsehkamera zugegen war.

Nachdem deswegen gestern Abend anfangs ein Bruch der Koalition nicht auszuschließen schien, hieß es dann später in der ARD Tagesschau, ein parteiübergreifender Kandidat sei gefunden worden. Herr Gauck solle neuer Bundespräsident werden. Nach zähem Ringen hätten die CDU und die CSU ihren Widerstand aufgegeben und dem Vorschlag von FDP, SPD und Grünen zugestimmt. Alle Vorsitzenden der CDU, der CSU, der FDP, der SPD und der Grünen seien zufrieden. Gauck selbst habe gesagt, er sei "überwältigt und verwirrt". Na, da wollen wir mal hoffen dass die Verwirrung nicht allzulange anhält. Nach dem vorausgegangenen Theater kann ich seine Emotionen aber ganz gut nachvollziehen.

Frau Merkel gelang in einer gemeinsamen Pressekonferenz der an der Nominierung Herrn Gaucks beteiligten Parteien wieder einmal eine bemerkenswerte 180-Grad-Wende, als sie verkündete, Herr Gauck sei nach intensiven Abwägungen verschiedener Vorschläge nominiert worden. Mit Herrn Gauck verbinde sie vor allem die gemeinsame Vergangenheit in der DDR. (Daran lässt sich nachträglich allerdings wohl auch schwerlich noch etwas ändern.)

Für Herrn Gauck habe sich der Weg von der Kirche in die Politik fast von selbst ergeben. Bei aller Verschiedenheit mit Herrn Gauck schätze sie persönlich, seinen Einsatz für die Idee von Freiheit und Verantwortung. Es zeichne ihn aus, dass er ein wahrer Demokratielehrer geworden sei.

Herrscht jetzt also wieder Friede, Freude, Eierkuchen? - So ganz wohl doch nicht. Was die Sache mit dem "wahren Demokratielehrer" angeht, wäre es jedenfalls vielleicht keine schlechte Idee, wenn Frau Merkel ihn einmal um die Erteilung einiger Nachhilfestunden in diesem Fach bitten würde. Man kann ja von den Linken halten, was man will. Eine nicht zu übersehende Tatsache ist es jedoch, dass diese ebenfalls im Bundestag vertretene Partei bei den Bundesbürgern einen weitaus größeren Anteil an Unterstützung findet als die um ihr Überleben kämpfende FDP. Von der Nominierung des "gemeinsamen" Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten war Die Linke jedoch von vornherein ausgeschlossen worden. Demokratie geht anders, Frau Merkel.

Auch die Vorsitzenden der Linken hatten im Vorfeld deutlich gemacht, dass es nach dem vorzeitigen Aus des zweiten Bundespräsidenten, der mit der Mehrheit der scharz-gelben Regierungskoalition ins Amt gekommen war, wichtig sei, dass sich alle Parteien und Fraktionen im Deutschen Bundestag auf eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten verständigen.

Dank der Arroganz der "etablierten Parteien" ist diese Chance gestern endgültig beerdigt worden. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung wird sich jetzt erneut ausgeschlossen fühlen. Dabei hätten CDU und CSU von einer Beteiligung der Linken an den Gesprächen unter Umständen sogar zugunsten eines der von ihnen bevorzugten Kandidaten profitieren können. Da Herr Gauck auf die Linken ebenfalls nicht gut zu sprechen ist, hätte er ja möglicherweise auf eine Kandidatur verzichtet, wenn seine Nominierung mithilfe der Stimme der Linken zustande gekommen wäre.

Aber wie auch immer: Auch wenn ich nicht unbedingt in allen Fällen seine Ansichten teile, so ist Herr Gauck unter den letztlich verbliebenen zur Auswahl stehenden Kandidaten für eine Nominierung zum Nachfolger Herrn Wulffs sicher nicht die schlechteste Wahl. Während seiner Zeit als Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde hat er jedenfalls unter Beweis gestellt, dass seine Handlungen seinen Worten entsprechen und aufgrund seiner persönlichen Vergangenheit könnte er im Ausland als glaubwürdiger Verfechter der Menschenrechte wahrgenommen werden.

Nur für die Gestalter der Festwagen in den heutigen Umzügen in den Karnevalshochburgen dürfte die gestrige Nominierung Herrn Gaucks ein unüberwindliches Hindernis darstellen. Selbst wenn es ihnen (unwahrscheinlicherweise) gelungen sein sollte, die entsprechend thematisierten Wagen nach dem Rücktritt Herrn Wulffs innerhalb von zwei Tagen noch umzudekorieren, dann wird es ihnen unmöglich gewesen sein, die neuerliche Wende noch zu thematisieren.


(Quellen: ARD-Tagesschau vom 19.02.2012, Die Linke vom 17.02.2012)

2 Kommentare:

Hermann hat gesagt…

Vielleicht nehmen sie ja die Gauck-Figuren aus dem Jahre 2010. Die sind bestimmt noch nicht verstaubt

Frau Momo hat gesagt…

Muttis Gesicht gestern war göttlich. Und den Umgang mit der Linkspartei finde ich schlicht undemokratisch und ausgrenzend. Die haben mehr Wähler als dieser 1,8% Verein, auch FDP genannt.
Ich bin auch nur bedingt für Herrn Gauck, dessen Ansichten zu HartzIV und der Occupy Bewegung ich so gar nicht teile, aber ich denke, er ist nicht die schlechteste Wahl.

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