Die Absender des offenen Briefes sind etwa 57 Millionmen US-Amerikaner. Bei dem vermeintlichen "Erbonkel" handelt es sich um die Agrar-, Chemie- und Gentechnik-Industrie in den USA. Ihr "Erbe": Die "Segnungen" der US-Agrarindustrie mit ihren gentechnisch veränderten Mais- oder Soja-Monokulturen, in denen dank des unter dem Markennamen "RoundUp" vertriebenen Breitbandherbizids Glyphosat "kein Gras mehr wächst".
Nur die gentechnisch immunisierten Mais- und Soja-Sorten sind in der Lage, den totalen chemischen Krieg gegen die Pflanzen zu überleben. Die Folge: Ein dramatischer Rückgang der heimischen Artenvielfalt. Auf die Vernichtung der Pflanzen folgt das Aussterben der Tiere, deren Existenz oft von speziellen Nahrungspflanzen, immer aber von intakten, natürlichen Lebensräumen und einer vielfältigen Umwelt abhängt.
Der anfangs vermutete "Erbonkel" ist demhingegen noch lange nicht tot. Das Gegenteil ist der Fall: Die US-Agrar- und Gentechnikindustrie will weiter wachsen: In Europa. Der wohl mächtigste und bekannteste Gentechnik- und Chemiekonzern in den USA und weltweiter Marktführer - "Monsanto" - hatte schon einmal versucht, seine gefährlichen Produkte in Europa auf den Markt zu bringen, war letztlich aber am Widerstand der Bürger gescheitert - vorläufig jedenfalls.
Rückblende:
Ende Mai 2013 hatte es in den Medien geheißen, Monsanto wolle in Europa keine Zulassungen für neue gentechnisch veränderte Pflanzen mehr beantragen. Das US-amerikanische Unternehmen habe damit auf die breite Ablehnung von gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa und die geringe Nachfrage seitens europäischer Landwirte reagiert. Die Geschäftsführerin von Monsanto Deutschland, Frau Lüttmer-Ouazane, hatte damals eingeräumt, es sei sinnlos, Gentechnik gegen den Protest und den Widerstand der Menschen in Europa durchsetzen zu wollen.
Herr Mitchener (Monsanto, EU-Niederlassung, Sprecher) hatte die Ankündigung Frau Lüttmer-Ouazanes allerdings gleich wieder eingeschränkt (Zitat): "Derzeit planen wir auch nicht, die Zulassung neuer gentechnisch veränderter Pflanzen zu beantragen." -
"Derzeit ..." - das hörte sich schon damals nicht wirklich "endgültig" an. Irgendwie klang es so, als habe "Monsanto" noch einen Trumpf in der Hand.
Heute, nachdem immer mehr Details über die Inhalte der hinter verschlossenen Türen verhandelten Handelsvereinbarungen CETA (EU-Kommission / Kanada) und TTIP (EU-Kommission / USA) an die Öffentlichkeit gelangen, wird klar, dass Mosanto bereits vor zwei Jahren auf den Erfolg von TTIP und die Möglichkeit, die europäischen und nationalen Gesetze dann mithilfe von internationalen Schiedsgerichten (ISDS) für unwirksam erklären zu lassen, gesetzt hatte. Die Ankündigung Herrn Mitchners aus dem Frühjahr 2013, Monsanto werde in Europa keine Lobbyarbeit mehr für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen machen, entpuppt sich damit als hinterhältig verabreichte Beruhigungspille: Monsanto hatte seine Lobbyarbeit für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa im Rahmen der TTIP-Verhandlungen auf US-amerikanischer Seite nahtlos fortgesetzt ...
Gebrochene Versprechen, ...
Die Leidtragenden der in den USA bereits angerichteten Schäden, die durch gentechnisch veränderte Organismen in Verbindung mit chemischen Massen-(Unkraut)-Vernichtungsmitteln wurden, sind letztlich die Verbraucher und die Landwirte.
Anstelle der anfangs versprochenen dauerhaften Ertragssteigerung gab es später einen Punkt, ab dem die Erträge stagnierten und in den folgenden Jahren vereinzelt sogar zurückgingen. Auch von einem reduzierten Pestizid-Einsatz kann keine Rede sein. Gegen Glyphosat resistente Superunkräuter und multiresistente Schädlinge breiten sich aus. Monsantos Rezept dagen heißt: Mehr "Roundup" spritzen.
Der verstärkte Einsatz des Alleskillers entwickelt sich zusehends zu einer Gefahr für die Umwelt und für die Biodiversität. Die zusätzlichen Kosten des steigenden "Roundup"-Einsatzes werden an die Verbraucher weitergegeben. Die Landwirte sind von Monsanto abhängig: Die Vermehrung zurückgehaltenen Saatguts ist vertraglich verboten. Die Landwirte sind darauf angewiesen, Jahr für Jahr bei Monsanto neues gentechnisch verändertes Saatgut zu kaufen und unterliegen damit dem Preisdiktat des Chemie- und Gentechnik-Konzerns. Das verteuert ihre Produkte zusätzlich.
... und dreiste Schadenersatzklagen
Die Samen von Monsantos genmanipulierten Pflanzen verunreinigen die Felder und das Saatgut von Landwirten, die sich bisher ihre Unabhängigkeit erhalten konnten und weiterhin Wert auf die natürliche Vermehrung ihrer eigenen Sorten legen. Durch Fremdbestäubung von benachbarten Feldern mit gentechnich verändertem Monsanto-Saatgut kommt es jedoch zur Vermischung der Gene mit konventionell kultivierten Sorten.
Die Gene, die dafür sorgen, dass Monsantos Saaten resistent gegen Glyphosat sind, finden sich daher vermehrt auch in vermeintlich gentechnikfreien Nahrungspflanzen - ein Umstand, den Monsanto sich schon für - an Dreistigkeit wohl kaum zu überbietende - Klagen gegen Betriebe zunutze gemacht hat, die Wert auf getechnikfreie Landwirtschaft legen. Zur Begründung heißt es in solchen Schadenersatzklagen, man habe gentechnisch nachgewiesen, dass die betroffenen Landwirte unentgeltlich und damit wiederrechtlich Saatgut von Monsanto verwendet hätten.
- Im Klartext:
Der Verursacher des Schadens (Monsanto) bittet den Geschädigten (den beklagten Landwirt) dafür zur Kasse, dass dessen Saatgut gegen seinen Willen durch die gentechnisch veränderten Pflanzen aus dem Gruselkaninet Monsantos verunreinigt wurden!
Der Brief
Das - und einiges mehr - ist Gegenstand des "Briefes aus Amerika", den das Umweltinstitut München ins deutsche übersetzt hat.
Darin heißt es, das zweiundsiebzig Prozent der Verbraucher in den USA gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnen. Neunzig Prozent der US-Bürger seien davon überzeugt, dass eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, für deren Herstellung gentechnisch veränderte Zutaten verwendet werden, die marktbeherrschende Stellung Monsantos und anderer Konzerne der Agrar- und Gentechnikindustrie in den USA brechen könnte.
Der Einfluss der Lobbys der Agrarindustrie mit ihren finanzstarken Chemie- und Gentechnik-Konzernen hat politische Fortschritte in den USA bisher jedoch erfolgreich verhindert. Es ist leider keine neue Erkenntniss, dass auch die US-Regierung gegen die Interessen der Bürger und für die Profite der Konzerne arbeitet.
Über ihren bisherigen Wirkungsbereich hinaus soll den Politmarionetten der US-Konzerne in der Regierung der USA zukünftig ein Mitspracherecht bei europäischen Gesetzesvorhaben eingeräumt werden. Dahingehende, bereits seit längerer Zeit kursierende Gerüchte werden jetzt durch ein erst kürzlich öffentlich bekannt gewordenes internes TTIP-Papier der EU-Kommission zur Gewissheit.
In ihrem Papier schlägt die EU-Kommission eine Art "Frühwarnsystem" für neue Gesetze vor, die den Handel zwischen den beiden Wirtschaftsräumen behindern könnten. Monsanto und Co. könnten mithilfe des "Regulatory Cooperation Council" (RCC, Rat zur regulatorischen Kooperation) bereits im Vorfeld der Gesetzgebung dafür sorgen, dass der Weg für ihre gentechnisch veränderten Organismen und die dazugehörigen chemischen Massenvernichtungsmittel nach Europa frei wird.
Der offene "Brief aus Amerika" ist eine eindringliche Warnung an uns Europäer, das "Erbe" aus den USA mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zurückzuweisen. Aufgrund der in fast zwei Jahrzehnten gesammelten negativen Erfahrungen mit der Gentechnik rufen die Unterzeichner - Gruppierungen und Einzelpersonen, die gemeinsam etwa 57 Mllionen US-Bürger repräsentieren - dazu auf, weiterhin Widerstand gegen die Zulassung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel in Europa zu leisten.
Zum Weiterlesen:
- The Letter from America
Der englische Originaltext des offenen Briefes auf der Internetseite "The letter from America ORG".
- Der Brief aus Amerika
Die vom "Umweltinstitut München" veröffentlichte Übersetzung des offenen Briefes.
- Das TTIP-Verhandlungsdokument
Der englische Originaltext des geleakten Dokuments mit den Vorschlägen der EU-Kommission zur "regulatorischen Kooperation" als PDF-Dokument.
- Analyse des TTIP-Verhandlungsdokuments
Die Analyse der geleakten Verhandlungsposition der EU-Kommission von Max Bank (LobbyControl) und Kenneth Haar (Corporate Europe Observatory, CEO) zeigt:Die EU-Kommission will mithilfe der "regulatorischen Zusammenarbeit" umfassend in die Praxis der demokratischen Gesetzgebung in Europa und den USA eingreifen. Ein institutionalisierter Einfluss von Unternehmenslobbyisten könnte dabei bestehende und künftige demokratische Regulierungen auf beiden Seiten des Atlantiks vereiteln. Dass bezüglich der Berichtspflicht sogar die kommunale Ebene angedacht war, zeugt davon, dass die EU-Kommission die demokratisch legitimierte Gesetzgebung den Interessen des Handels unterwerfen will. Das zeigt einmal mehr, dass TTIP ist kein Freihandelsabkommen im klassischen Sinne ist. Es ist ein Abkommen über einen gemeinsamen Markt, dem sich die demokratische Gesetzgebung, der Verbraucherschutz, der Klima- und Umweltschutz etc. bedingungslos unterzuordnen haben.
- Cyberkrieg auf dem Acker
Eine kritische Bestandsaufnahme einer neuen Dimenson der Gentechnik von Christoph Then (Testbiotech e.V., Geschäftsführer) im Auftrag von Martin Häusling (Die Grünen, MdEP):Eine neue Generation gentechnisch veränderter Pflanzen ist gegen vier Unkrautvernichtungsmittel resistent sind und produziert auf dem Acker gleichzeitig ein halbes Dutzend Insektengifte - 24 Stunden lang, jeden Tag. Der Gentechnik-Experte Christoph Then beschreibt, was diese Pflanzen können - und was sie anrichten können.
- Christoph Then: Handbuch Agro-Technik
Die Folgen für Landwirtschaft, Mensch und Umweltoekom verlag München, 2015
ISBN-13: 978-3-86581-716-7
(Quellen: Frankfurter Allgemeine vom 27.01.2015, Die Zeit vom 05.06.2014, Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2014, Umweltinstitut München, The letter from America, Stop TTIP!, CEO, LobbyControl, Wikipedia )
1 Kommentar:
Manchmal, lieber Jürgen, weiß ich, warum die Menschen kaum hundert Jahre alt werden. Ab einem bestimmten Alter kann man das alles einfach nicht mehr ertragen. Die Welt ist so schnell im Wandel, selten zum Besseren.
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