Freitag, 31. Oktober 2014

Was Sie schon längst über ISDS wissen sollten


Video: ISDS: Das Unrechts­-System der Konzerne (© Campact auf YouTube)

Eines gleich vorweg: ISDS ist nicht die Abkürzung für die "Industrie sucht den Superstar". - Oder, eigentlich, irgendwie doch ...

Tatsächlich aber steht die Abkürzung ISDS für "Investor­State Dispute Settlement" (Schiedsgericht zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten).Wenn die Gesetze eines Staates den Profit eines Konzerns schmälern könnten, dann kann dieser dessen Regierung vor dem ISDS auf Schadensersatz verklagen. Die Urteile sind für die Staaten bindend. Die Superstars - aus der Sicht der Konzerne - wären in diesem Kontext die erfolgreichsten ISDS-Anwälte.

Die unter Ausschluss der Öffentlich tagenden Schiedsgerichte bestehen aus drei Anwälten, die von Fall zu Fall die Rolle des Anwalts, ein anderes Mal diejenige des des Verteidigers oder in einem anderen Verfahren die Rolle des Richters übernehmen. In den Schiedsgerichten entscheiden keine unabhängigen Richter ­ sondern konzernnahe Anwälte, die kräftig an den Verfahren verdienen und sich selbst über die Urteile nationaler Verfassungsgerichte hinwegsetzen. In einem Online-Artikel der "Le Monde diplomatique" vom 13.06.2014 ist die Rede von Honoraren für ISDS-Schiedsrichter in Höhe von 275 bis 500 Euro pro Stunde.

Wenn ein Staat auf Gefährdungen mit schärferen Gesetzen reagiert - wie etwa Deutschland nach dem Super-GAU in der japanischen Atomkraftanlage "Fukushima-I" mit einem Moratorium und dem anschließenden "Atomausstieg" - dann strahlen die Anwälte der Schiedsgerichte aus Vorfreude auf Fette Einnahmen.

Die Anwaltskanzleien empfehlen international tätigen Konzernen darüberhinaus, möglichst häufig zu klagen. So sorgen sie selbst dafür, dass ihr profitables Geschäft weiterhin floriert. In dem kurzen Video "ISDS: Das Unrechts­-System der Konzerne" oben in meinem Beitrag heißt es dazu (Zitat): "Schiedsanwälte helfen Konzernen auch dabei, Geld für immer mehr Klagen aufzutreiben. Um am Gewinn beteiligt zu werden, strecken Anleger Prozesskosten vor. Ein florierendes Geschäft: Auf Kosten von Steuerzahlenden, Umweltschutz und sozialen Errungenschaften."

Mit den Schiedsgerichten zur "Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten", wie sie sowohl im CETA-, wie auch im TTIP-Vertragswerk vorgesehen sind, bekämem internationale, bzw. ausländische Konzerne ein Werkzeug in die Hand, mit dem sie gegen demokratische Entscheidungen vorzugehen können. Indem sie Staaten vor privaten, geheim tagenden Schiedsgerichten auf Milliardensummen verklagen, gehen multinationale Konzerne in vielen Ländern bereits heute beispielsweise gegen Vorschriften zum Umwelt- und Gesundheitsschutz, gegen den Atomausstieg oder den gesetzlichen Mindestlohn vor.


CETA: TTIP durch die Hintertür

Das fertig verhandelte "Freihandelsabkommen" zwischen Kanada und der EU (CETA) steht bereits zur Unterzeichnung an. Das Thema ISDS ist darin einer der zentralen Punkte. Sollte es tatsächlich zur Unterzeichnung kommen, würde es unsere Demokratie, unsere Steuerkassen, sowie unsere Umwelt und sozialen Rechte bedrohen - selbst dann, wenn das ISDS am Ende nicht in das TTIP-Vertragswerk aufgenommen werden würde.

Ein Beispiel dafür, wie das funktioniert, ist das Vorgehen des kanadischen Konzerns "Lone Pine".
Zwischen den USA und Kanada besteht das "Nordamerikanische Freihandelsabkommen" (NAFTA). Über eine Tochterfirma in den USA nutzte "Lone Pine" die im NAFTA-Vertragswerk verankerten Investitionsschutzklauseln, um Kanada wegen eines Moratoriums, mit dem die Provinz Québec ein Fracking-Verbot erreichen wollte, auf die Zahlung von 250 Millionen US-Dollar zu verklagen.

Wenn es zwischen Kanada und der EU-Kommission zum Vertragsabschluss über CETA kommt, müsste ein Konzern, der seinen Firmensitz in irgendeinem EU-Mitgliedsstaat oder in den USA hat, einfach nur eine Tochterfirma in Kanada gründen, um gegen die demokratisch legitimierten Gesetze irgendeines anderen an TTIP gebundenen Landes vorgehen zu können.

Allein die Drohung eines einzigen Konzerns kann dann bereits dazu führen, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel und die globale Erwärmung, sowie sonstige Maßnahmen zum Schutz der Umwelt, zum Verbraucherschutz, zum Erhalt der genetischen Vielfalt oder soziale Reformen gar nicht erst beschlossen werden. Im östereichischen "Standard" vom 14.07.2014 bringt Frau Beer (Arbeiterkammer Wien, Referentin der Abteilung EU und Internationales) die Folgen dieses Effekts auf den Punkt (Zitat):
.. Private Schiedsgerichte sind nicht geeignet, Sachverhalte zu lösen, die im Kern Dispute um öffentliche Regulierung sind. Darüber hinaus wirkt ISDS realpolitisch schon in der Androhung von Klagen, da Gastländer, um Klagen zu vermeiden, ihren politischen Handlungsspielraum einschränken. ..

ISDS: Keine Fiktion

Ähnlich, wie das NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen)  zwischen Kanada und den USA, gibt es bereits heute Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und einzelnen anderen Staaten. Aufgrund der großen Anzahl involvierter Staaten wären die Unterdrückung der freiheitlichen Entscheidung demokratischer Staaten und die infolge der ISDS-Klauseln im TTIP verursachten finanziellen Schäden jedoch weitaus umfassender, als bei einem Abkommen zwischen zwei einzelnen Staaten.

Ein Beispiel dafür, was im Falle eines TTIP-Vertragsabschlusse auf unsere Demokratie zukommen könnte, zeigt das Vorgehen des schwedischen Energie- und Atomkonzernd "Vattenfall" gegen die Bundesregierung Deutschlands. Weil Deutschland die von Vattenfall geforderten 1,4 Milliarden Euro nicht zahlen wollte, mussten die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk im Hamburger Stadtteil Moorburg zurückgenommen werden.

In einem anderen Fall hat Vattenfall die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs auf "Schadenersatz" in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro verklagt. - Leider hat die Bundesregierung keinerlei gesetzliche Handhabe, um ihrerseits Vattenfall wegen der infolge des Betriebs seiner Atomkraftwerke bereits entstandenen Umweltschäden und wegen der über Jahrmillonen hinweg andauernden Gefährdung der Gesundheit kommender Generationen zu verklagen. Vattenfall würde dann auch gegen die dafür notwendigen Gesetze klagen ...



Zur Petition der selbstorganisierten Europäischen Bürgerinitiative "Stop TTIP!" ...

Wenn wir Bürger uns nicht gegen den Ausverkauf unserer grundlegenden demokratischen Rechte wehren, dann wird die EU-Kommission sie mit Sicherheit den ausschließlich profitorientierten Interessen internationaler Konzerne zum Fraß vorwerfen.

Die EU-Kommission hat zwar den Antrag auf Zulassung der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) "Stop TTIP!" zurückgewiesen, aber die Initiatoren haben sich dadurch nicht entmutigen lassen. Das Bündnis aus mehr als 240 Organisationen in ganz Europa führt "Stop TTIP!" jetzt als "selbstorganisierte EBI" weiter, indem es dafür unter den gleichen Bedingungen, wie sie für eine offizielle EBI gelten, Unterschriften gegen TTIP sammelt.



Zum Weiterlesen:
- Profit durch Unrecht -
Wie Kanzleien, SchiedsrichterInnen und Prozessfinanzierer
das Geschäft mit dem Investitionsschutz befeuern
Die "leicht aktualisierte" deutsche Übersetzung der im November 2012 erschienenen Studie "Profiting from Injustice. - How law firms, arbitrators and financiers are fuelling an investment arbitration boom" wird von den Organisationen "Corporate Europe Observatory" (CEO), "Transnational Institute" (TNI), Campact und "Power Shift" herausgegeben.
(Stand der Recherche: September 2012)

Inhalt:
  • Wenn Investoren Regierungen verklagen:
    Ein lukratives Geschäft für die Schiedsgerichtsindustrie
  • Aasgeier in Anwaltsroben:
    Kanzleien auf der Suche nach neuen Klagemöglichkeiten
  • Wer wacht über die WächterInnen?
    Die konfligierenden Interessen der SchiedsrichterInnen
  • Spekulation mit Ungerechtigkeit:
    Die externe Finanzierung von Investor-Staat-Klagen
  • Ein trojanisches Pferd in der Wissenschaft:
    Untergräbt die Schiedsbranche unabhängige Forschung?
  • Fazit:
    Internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit - eine lukrative Branche, gebaut auf der Illusion von Neutralität



"Privatisierung der Gerichtsbarkeit ist abzulehnen: Das private Ad-hoc-Schiedsverfahren ISDS ist inkonsistent, teuer, unberechenbar sowie in Einzelfällen parteiisch. Die Schiedsverfahren sind ein boomender Geschäftszweig insbesondere für spezialisierte Anwaltskanzleien. Dies zeigen auch die stetig steigenden Klagefälle (in den vergangenen Jahren jährlich rund 60 neue Klagen), wobei nur ein Bruchteil öffentlich bekanntgemacht wird. Hier haben wir es zusehends mit profitorientierten Einzelinteressen zu tun, denen es nicht um Fairness und Gemeinwohl geht."


Elisabeth Beer
(Arbeiterkammer Wien, Referentin der Abteilung EU und Internationales)



(Quellen: Le Monde diplomatique" vom 13.06.2014, Der Standard vom 14.07.2014, Die Zeit vom 10.03. und vom 06.03.2014, Campact)

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