Dienstag, 26. November 2013

Ein Bauschild zur Feier für ein 200 Mio. Euro Grab

"Eigentlich" geschütztes Wäldchen im Verlauf der zukünftigen Hafentunnel-Baustelle
Herr Grantz (SPD, Bremerhaven, Oberbürgermeister) hatte etwas zu feiern. Nachdem der letzte verbliebene Kläger gegen den Hafentunnel das Handtuch geworfen hatte, enthüllte er, zusammen mit Herrn Böhrnsen (SPD, Bremen, Präsident des Senats und Bürgermeister) und Herrn Ferlemann (CDU, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung) sowie Vertretern der Hafenwirtschaft vor etwa 100 geladenen Gästen das Baustellenschild für das umstrittene Großprojekt.

Auch wenn die Damen und Herren aus den Stadtverordnetenfraktionen der SPD jetzt in Feierlaune sind (die in Bremerhaven mitregierenden und somit mitverantwortlichen Grünen sind da schon etwas zurückhaltender), halte ich das Projekt nach wie vor für einen großen Fehler. Die Gründe dafür sind unter anderem die im Jahre 2012 zutage getretenen Fehlprognosen bezüglich der fünf Jahre zuvor vorhergesagten Zunahme des Güterverkehrsaufkommens, die inzwischen drastisch gesunkene und somit nicht mehr gegebene Wirtschaftlichkeit, sowie die absolute Ignoranz gegenüber klimapolitischen Notwendigkeiten im Zusammenhang mit zukunftweisenden Verkehrskonzepten.


Verkehrsaufkommen
  • 30.07.2007: Die "Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH" (BIS) präsentiert die Daten einer Verkehrszählung mit Stand 2006. Demzufolge waren damals auf der Cherbourger Straße im Bereich zwischen der A27 und der Langener Landstraße, täglich 3900 Lkw unterwegs (Folie 9).

    Auf der Folie 15 der BIS-Präsentation wird das "Verkehrsaufkommen der Hafen- und Gewerbegebiete" für das Jahr 2025 mit 14700 Lkw pro Tag prognostiziert. Bis 2012 sei mit "wesentlichen Verkehrszuwächsen" zu rechnen (Folie 18): Es bestünde dringender Handlungsbedarf.
  • Gut fünf Jahre später, am 13.10.2012, berichtet die Nordsee-Zeitung über verlässliche Werte zum Lkw-Aufkommen auf der Cherbourger Straße. Die neuen Daten zum Lkw-Verkehr würden belegen, dass der Schwerlast-Verkehr seit 2007 kaum zugelegt hat. An Werktagen seien im Mai 2012 bis zu 2200 Lkw über die Cherbourger Straße in Richtung Hafen gerollt. - Das waren dann also 1700 Lkw pro Tag weniger als im Jahre 2006.

    Den angegebenen Daten zufolge hatte der Lkw-Verkehr bis zum Jahre 2012 nicht einmal "kaum" zugenommen. Das Gegenteil ist der Fall. Richtig hätte es heißen müssen: "Der Schwerlast-Verkehr hat seit 2006 um 43,6 Prozent abgenommen."

Nebenbeibemerkt beruht die Prognose aus dem Jahre 2007 auf stetig steigenden Mengen im Container- und Autoumschlag. Die wiederum sind von stabilen weltwirtschaftlichen Verhältnissen abhängig. Dass sich diese jedoch nicht vorhersehen lassen, hat auch Bremerhaven vor noch gar nicht allzulanger Zeit erleben müssen: Schon vergessen?

Hinzu kommt, dass auch der Betrieb des neuen Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven einen guten Teil des Güterverkehrs, der jetzt noch über Bremerhaven und Hamburg abgewickelt wird, auf sich ziehen wird. Damit ist spätestens dann zu rechnen, wenn die Startprobleme mit der instabilen Kaje etc. einmal behoben sein werden.


Kosten

Aufgrund der kalkulierten Projektkosten in Höhe von rund 160 Millionen Euro lag der Genehmigung ein Nutzen-/Kosten-Verhältnis von 1,08 zugrunde. (Wirtschaftlichkeit = Ertrag / Kosten; bei einem Verhältnis kleiner "1" überwiegen die Kosten.) Eine Überprüfung in im Jahre 2010 ergab eine Kostensteigerung auf 171,3 Millionen Euro. Die Folge: Das Nutzen-Kosten-Verhältnis sank auf 0,907. Damit ist die ursprünglich festgestellte Wirtschaftlichkeit, die ohnehin schon recht knapp bemessen war, nicht mehr gegeben. - Eine Einschätzung, die der Rechnungshof des Landes Bremen Bremen erheblich drastischer formuliert: Das Projekt sei zu keinem Zeitpunkt wirtschaftlich vertretbar gewesen!

Dabei sind die Planungskosten in Höhe von knapp 30 Millionen Euro in den 171,3 Millionen Euro noch nicht einmal enthalten - obwohl das Haushaltsrecht des Landes Bremen die Einbeziehung der Planungskosten vorschreibt. Eigentlich betragen die Kosten für den Hafentunnel somit also etwa 200 Millonen Euro, was die Wirtschaftlichkeit des Projekts noch einmal erheblich reduziert, so dass nicht einmal mehr eine "9" hinter dem Komma steht. Herr Grantz hat bezüglich der Planungskosten seine eigenen Ansichten: Es sei eben nicht üblich, die Planungskosten bei der Kalkulation mitzuberücksichtigen, heißt es dazu in der Nordsee-Zeitung vom 21.11.2013.

Der Rechnungshof des Landes Bremen kommt in seiner aktuellen Analyse - unter Einbeziehung der Planungskosten(!) - auf ein Nutzen-/Kosten-Verhältnis von 0,8. Nach Darstellung des Bremer Landesrechnungshofes stuft das Bundesverkehrsministerium Straßenbauprojekte erst dann als vordringlich ein, wenn ein Nutzen-/Kosten-Verhältnis 4,7 erreicht ist. Unter diesen Voraussetzungen dürften die zugesagten 120 Millionen Euro eigentlich gar nicht freigegeben werden.

Herr Müller (Tunnelgegner) wies darüberhinaus darauf hin, dass auch die Unterhaltungs- und Betriebskosten von bis zu einer Million Euro pro Jahr, die nach der Fertigstellung des Tunnels auf die Stadt Bremerhaven zukommen werden, völlig vernachlässigt worden sind. Das sei mehr als das Doppelte des aktuellen Budgets für die Unterhaltung der Straßen im gesamten Stadtgebiet. - Und einem Artikel auf der Internetseite von Radio Bremen vom 20.11.2012 zufolge sind nach Bremer Haushaltsrecht auch die jährlichen Folgekosten zu berücksichtigen!

Auch wenn es bei den vom Bund zugesagten 120 Millionen Euro bleiben sollte, verbleiben für die chronisch unter Geldmangel leidende Stadt Bremerhaven immernoch Investitionskosten in Höhe von 7,3 Millionen Euro und die jährlichen Folgekosten, die für das Projekt aufzubringen wären. Das Land Bremen, welches finanziell bekanntlich auch nicht besser dasteht, ist mit 29 Millionen Euro dabei.

Im Bremerhavener Onlinemagazin "Laufpass" vom 08.05.2013 heißt es außerdem, dass auch die Darstellung, die Hafenwirtschaft werde 15 Millionen Euro der Baukosten bereitstellen, irreführend ist. Das Magazin zitiert Herrn Middelhuß (Tunnelgegner, Sprecher) mit den Worten (Zitat): "Der sogenannte Beitrag der Wirtschaft wird nicht als Kapital zur Verfügung gestellt, sondern vorfinanziert mit öffentlicher Bürgschaft, und über Jahre abgestottert durch die Spediteure und Terminalbetreiber." Die Terminalgebühr und der damit einhergehende administrative Aufwand werde insbesondere die Spediteure treffen, die vermutlich auch noch später Gerichte beschäftigen werden, um die Rechtmäßigkeit dieser Zwangsabgabe prüfen zu lassen.

Die Erfahrung mit Großbauprojekten zeigt, dass die ursprünglich einmal kalkulierten Kosten in der Regel die unangenehme Eigenschaft haben, im Laufe der Bauzeit noch einmal mehr oder weniger kräftig zuzulegen. Eigentlich sollte man meinen, die Bremerhavener Politik hätte diesbezüglich schon genug Lehrgeld bezahlt (Eisarena, Havenwelten, ...).

Unglücklicherweise ist das aber offenbar nicht der Fall. Insbesondere in Anbetracht des - vorsichtig ausgedrückt - 'stagnierenden Verkehrsaufkommens', sowie der schon längst nicht mehr gegebenen Wirtschaftlichkeit - die durchaus im Laufe der Bauzeit noch weiter sinken könnte - gehen die politisch Verantwortlichen mit ihrem Festhalten an der Realisierung des Hafentunnels ein abzusehendes finanzielles Risiko in Höhe von mehreren Millonen Euro ein.
 

Klimastadt

Führende Politiker versehen Bremerhaven ja immer gerne mit dem Prädikat "Klimastadt". Wer aber angesichts der ohnehin schon weiterhin steigenden CO2-Emissionen und der fortschreitenden Klima-Erwärmung unbeirrt auf die Zukunft des zunehmenden Güterverkehrs auf der Straße - inklusive der damit unvermeidlich steigenden CO2-Emissionen - setzt, der hat seine Hausaufgaben im Fach "Klimapolitik" nicht gemacht.

Auf der Seite 5  einer hübsch aufgemachten Broschüre der BIS mit dem Titel "Hafenanbindung A27" vom August dieses Jahres kann man nachlesen, dass der schienengebundene Güterverkehr "in den vergangenen Jahren deutlich Marktanteile im Hinterlandverkehr gewinnen" konnte. Eine weitere Steigerung des Anteils sei jedoch unwahrscheinlich, da sich der Schienenverkehr bereits heute an der Kapazitätsgrenze bewege. Dies betreffe vor allem die Strecke Bremerhaven-Bremen und den Knoten Bremen.

Diese Einschätzung ist leider nicht von der Hand zu weisen. Konsequent wäre es deshalb gewesen, die 171 Millionen Euro, die jetzt im 1,8 Kilometer langen Hafentunnel versenkt werden sollen, in den mehrgleisigen Ausbau der Bahntrasse zu investieren.

Wenn die Strecke dann auch noch mit Strom aus regenerativen Energiequellen betrieben worden wäre, dann wäre das eine echte, zukunftsweisende Investition in die Zukunft gewesen: Und zwar sowohl Hafen- und Verkehrs- wie auch klimapolitisch!


Abgase - Aus der Nase, aus dem Sinn?

Wenn Herr Grantz dieser Tage im Zusammenhang mit dem Hafentunnel von einer Verminderung der Belastungen durch Lärm und Autoabgase für die Anwohner der Cherbourger Straße spricht, dann klingt das in meinen Ohren irgendwie zynisch. Schließlich war es eine politische Entscheidung, dass der Verlauf des heutigen Hafenanschlusses an die Autobahn A27 - die Cherbourger Straße - seit 1971 mitten über ehemals bewohnte Grundstücke zwischen  dem Heide- und dem Baumschulweg (Stadtteil Leherheide), der Trift- und der Claus-Groth-Straße sowie den westlichen Abschnitt der Claus-Groth-Straße bis zur Wurster Straße und seit 1974 von dort weiter zwischen der Allensteiner Straße und dem Eckernfeld (Stadtteil Lehe, Ortsteile Speckenbüttel und Eckernfeld) hindurch ins Hafengebiet führt.

Bereits damals war abzusehen, dass die Trasse zwischen der A27 und den bremischen Überseehäfen mitten durch Bremerhavener Wohngebiete in mehrfacher Hinsicht zu Problemen führen würde. Und bereits heute ist abzusehen, dass auch der Hafentunnel nach 2025 bald an die Grenze seiner Kapazität stoßen würde, wenn der Güterverkehr tatsächlich in dem Maße, wie 2007 für das Jahr 2025 prognostiziert, zunehmen würde.

Und auch heute werden wieder Menschen vertrieben und ihre Häuser abgerissen. Nur dass es dieses Mal im Wesentlichen die Anwohner des parallel zur Cherbourger Straße verlaufenden Eichenwegs trifft ... - Aber um noch einmal auf die Aussage unseres Oberbürgermeisters bezüglich der Lärm- und Abgasbelastungen für die Anwohner der Cherbourger Straße zurückzukommen:
  • Auch nach der Fertigstellung des Tunnels wird die Cherbourger Straße alles andere als eine verkehrsberuhigte Zone sein. Sie ist auch dann noch die Anbindung des Stadtteils Leherheide und der nördlichen Ortsteile des Stadteils Lehe an die Autobahn und das Hafengebiet, sowie die wichtigste Querverbindung in diesem Bereich der Stadt.
  • Die Abgase des - nach Aussage der BIS-Präsentation - rapide zunehmenden Güterverkehrs werden nicht einfach so im Tunnel unter der Erde verschwinden. Irgendwo werden sie auch nach der Fertigstellung des Tunnels - punktuell entsprechend konzentiert - wieder zurück an die Erdoberfläche gelangen. So beispielsweise an der östlichen Einfahrt in den zukünftigen Tunnel, die am Ende des nördlichen Bereichs des Wohngebiets Schierholz liegen wird.


Ein Berg im Moor

Als weiteren Pluspunkt infolge der Realisierung des Hafentunnel-Projekts versuchen die dafür verantwortlichen Politiker die "Chance auf eine Renaturierung des Bredenmoores" hinzustellen. Leider vergessen sie dabei zu erwähnen, dass die geplante 'Wiederherstellung' der "betroffenen Flächen des Bredenmoores in naturschutzfachlicher Hinsicht" nichts weiter, als eine ohnehin notwendige "Ausgleichsmaßnahme" darstellen (Erläuterungsbericht "Renaturierung des Bredenmoores", Seite 7, Abschitt 4.3, "Vorhaltung Torf").

Die Reste des Moores, dessen Zerstörung ich als Kind und Jugendlicher hautnah miterlebt habe, erstrecken sich am Rande der Geest zwischen Bremerhaven im Bereich des Stadtteils Leherheide und des Leher Ortsteils "Schierholz" sowie der benachbarten Ortschaft Spaden. Die Cherbourger Straße verläuft auf einer "Moorzunge", die in nordwestlicher Richtung zwischen Leherheide und das Schierholzgebiet hineinragt.

Der Bodenaushub aus dem zukünftigen Tunnel muss natürlich irgendwo gelagert werden. Die Planer haben dafür den Teil des Moores im Bereich zwischen der Cherbourger Straße, der Hans-Böckler-Straße, dem Hallenbad an der Kurt-Schumacher-Straße und dem zwischen der Kurt-Schumacher- und der Cherbourger Straße gelegenen "Abenteuerspielplatz" vorgesehen. Da der Torfboden in diesem Bereich des Moores nicht tragfähig genug ist, um der Last der zukünftigen Aushubhalde standhalten zu können, muss der Torf dort zuvor ausgehoben werden.

Dieser werde, so heißt es, während der Bauzeit zwischengelagert und befeuchtet, um später "in der richtigen Reihenfolge" wieder "eingebaut" zu werden. - Fragt sich nur wo: Im Bereich der aus "ca. 250.000 Kubikmeter Boden" bestehenden Abraumhalde - die auf Seite 18 der BIS-Broschüre als "einzigartiges Landschaftsbauwerk" beworben wird - und der zukünftigen Tunneleinfahrt jedenfalls wohl kaum.

Einmal ganz davon abgesehen, dass für die "Zwischenlagerung" des ausgehobenen Torfes wiederum an anderer Stelle Flächen bereitgestellt werden müssen, würde ich die anstelle des Moores mit dem kleinen Birkenwäldchen vorgesehene begrünte Bodenhalde in Form eines 25 Meter hohen Pyramidenstumpfes mit annähernd rechteckiger Grundfläche nun wirklich nicht als "Renaturierung" bezeichnen. Mit "Renaturierung des Bredenmoors" ist bei genauem Hinsehen bestenfalls eine Fläche am Rande des Schierholzgebiets gemeint, die in der Satellitenaufnahme auf Seite 9 der BIS-Broschüre rot markiert ist.


Zum Weiterlesen


    (Quellen: Nordsee-Zeitung vom 23.11.2013, vom 21.11.2013 und vom 19.11.2013, Radio Bremen vom 20.11.2013, BIS - "Hafenanbindung A27" vom August 2013, Laufpass vom 08.05.2013, BIS-Präsentation vom 30.07.2007, Bremerhaven.de - Pressemitteilung vom 22.11.2013, Flächennutzungsplanänderung 11 "Hafentunnel" - Gutachten )

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