Freitag, 14. Juni 2013

1984 plus 29 - Big Brother NSA

Dass die Weltöffentlichkeit vor etwa einer Woche von dem Abhörskandal des amerikanischen Geheimdienstes "National Security Agency" (NSA) erfuhr, der mithilfe seines Spionagesystems "PRISM" massiv in die Privatsphäre unzähliger Menschen eingreift, verdankt sie dem US-Bürger Edward Snowden. Gestern meldeten mehrere Medien, die US-Bundespolizei FBI habe Ermittlungen gegen Herrn Snowden eingeleitet. Die Behörden hätten angekündigt, "alle notwendigen Schritte" zu unternehmen, um ihn zur Verantwortung zu ziehen.

Nach seiner Flucht aus seiner Heimat Hawaii vor dem Zugriff amerikanischer Behörden hat Herr Snowden offenbar in Hong Kong Zuflucht gesucht. Einem Artikel der "South China Morning Post" vom 14.06.2013 ist zu entnehmen, dass er sich dort bereits seit dem 20. Mai aufhält. Gerade China wäre ja nun nicht gerade meine erste Wahl gewesen, wenn ich mich aufgrund der Aufdeckung von Datenschutzverletzungen und Internetspionage in den USA auf der Flucht befände. Die "South China Morning Post" zitiert Herrn Snowden diesbezüglich mit den Worten (Zitat):
"People who think I made a mistake in picking HK as a location misunderstand my intentions. I am not here to hide from justice, I am here to reveal criminality. (Die Menschen, die meinen, ich hätte einen Fehler gemacht, indem ich Hong Kong als Aufenthaltsort ausgewählt habe, missverstehen meine Absichten. Ich bin nicht hier, um mich vor der Justiz zu verstecken, ich bin hier, um kriminelle Machenschaften aufzudecken."

Über die Technik, die es dem US-Geheimdienst "National Security Agency" (NSA) ermöglicht, auf derart massive Weise in die Privatsphäre unzähliger Menschen eingreifen zu können, sagte Herr Snowden gegenüber der "South China Morning Post" (Zitat):
"We hack network backbones – like huge internet routers, basically – that give us access to the communications of hundreds of thousands of computers without having to hack every single one." (Wir hacken Netzwerk Knotenpunkte - hauptsächlich sehr große Internet Router - die uns Zugriff auf die Kommunikation von hundertausenden Computern ermöglichen, ohne dass wir jeden einzelnen hacken müssten.)"

Über die Frage, wie der NSA Zugriff auf diese Knotenpunkte bekommt, mutmaßt die Internet-Plattform "netzpolitik.org" in einem Artikel vom 13.06.2013, eine Möglichkeit dafür sei die bewusste Ausnutzung neu entdeckter Schwachstellen eines Systems. Damit die Lücken im System möglichst lange nutzbar bleiben, würden die Entwickler der betroffenen Software nicht über die Schwachstellen informiert. Bei Netzwerk-Hardware Herstellern wie Cisco seien solche Schwachstellen leider keine Seltenheit.

Eine zweite Möglichkeit, wie die NSA Zugriff auf die Knotenpunkte erlangen könnte, seien gezielt eingebaute Hintertüren in den Netzwerk-Komponenten durch die Hersteller. Es habe den Anschein, als sei in den USA jeder dieser Knotenpunkte, egal ob für das Internet oder Handynetz, mit einer solchen Hintertür ausgestattet, damit amerikanische Strafverfolgungsbehörden jederzeit Zugriff auf die gesamte Kommunikation der US-Bürger haben.

Da Cisco als amerikanisches Unternehmen auch in diesem Geschäft gut vertreten sei, wäre es darüberhinaus keineswegs auszuschließen, dass solche Hintertüren auch in weltweit vorhandenen Knotenpunkten des Internets vorhanden sind. In diesem Falle würde der NSA Zugriff auf sämtliche Kommunikation im Internet - nicht nur in den USA! - haben. - Und dass Cisco es mit den Menschenrechten manchmal nicht so genau nimmt, habe auch das Engagement des Netzwerk-Hardware Herstellers in China gezeigt, wo er maßgeblich am Aufbau der chinesischen Netzzensur mitgearbeitet habe.

Womit wir wieder bei China wären: Bezüglich ihrer jahrzehntelangen (berechtigten!) Kritik am totalitären Machtapparat der chinesischen Machthaber und der damit verbundenen systematischen Menschenrechtsverletzungen in China haben sich die USA inzwischen wohl selbst diskreditiert.


1984 plus 29

Als George Orwell in den Jahren 1946 bis 1948 seinen - aus seiner damaligen Sicht in einer fernen Zukunft angesiedelten - Roman "1984" über den fiktiven, totalitären Überwachungs- und Präventionsstaat "Ozeanien" schrieb, hätte sicherlich kaum jemand für möglich gehalten, dass nur 29 Jahre nach 1984 eine derart bedrückende Vision ausgerechnet im "Land der unbegrenzten Möglicheiten" einmal zur Realität werden könnte. Die USA sind zwar, im Gegensatz zum fiktiven Staat "Ozeanien" George Orwells eine Demokratie. Aber wenn die US-Bürger ihre Rechte nicht einfordern und dem permanenten Eingriff in ihre Privatsphäre nicht aktiv entgegentreten, dann könnte es mit der Demokratie dort irgendwann auch vorbei sein.

Diese Gefahr sehe ich übrigens für alle demokratischen Gesellschaften. Wenn die Bürger aufhören, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, wenn sie im Zweifelsfalle nicht bereit sind, für die Wahrung ihrer Rechte und Interessen einzutreten und wenn sie aufhören, ihren "Volksvertretern" ständig auf die Finger zu schauen, dann begeben sie sich auf den Weg in die Fänge der Machtgierigen, denen nur an der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen gelegen ist.


Internationaler Appell

Weltweit regt sich inzwischen Protest gegen die willkürlichen Datenschutzverletzungen des NSA. Auch das internationale demokratische Netzwerk AVAAZ hat einen Online Appell an Herr Obama (USA, Präsident) initiiert, dem sich seit vorgestern weltweit im Sekundentakt immer mehr Menschen anschließen (Zitat):
An Präsident Barack Obama:

Bitte stellen Sie sicher, dass Whistleblower Edward Snowden gerecht und menschenwürdig behandelt wird und ein ordnungsgemäßes Verfahren erhält. Das PRISM-Programm stellt eine der schwerwiegendsten Verletzungen der Privatsphäre dar, die je von einer Regierung begangen wurde. Wir fordern Sie auf, es umgehend zu beenden. Edward Snowden soll als ein Whistleblower anerkannt werden, der im öffentlichen Interesse gehandelt hat - und nicht wie ein Schwerverbrecher behandelt werden.
Der Appel kann auf der Internetseite von AVAAZ online unterzeichnet werden.

  • Wir werden auch weiterhin auf Menschen wie Herrn Bradley Manning oder Herrn Edward Snowden angewiesen sein, wenn wir die Wahrheit über die hinterhältigen Machenschaften der Politik und deren Handlanger informiert sein wollen. Nur wer weiß, was hinter seinem Rücken vor sich geht, kann sich dagegen zur Wehr setzen. Deshalb verdienen Menschen wie Herr Manning oder Herr Snowden unsere Unterstützung und Solidarität.

Transparente Rituale

In altbekannter Weise wird jetzt wieder gerade einmal das zugegeben werden, was in diesem Falle dank Herrn Snowden ohnehin schon bekannt ist. Das nennt sich dann "Transparenz" und soll der Ruhigstellung der Massen dienen. Es gibt aber auch in den USA noch Politiker, die kritische Fragen bezüglich der Verhältnismäßigkeit der Mittel stellen, und dabei auch die Konfrontation mit einem Vier-Sterne General nicht scheuen. Der Spiegel gab in einem Artikel vom 13.06.2013 diesen Ausschnitt aus der Befragung Herrn Alexanders (NSA, Direktor und General) wieder, die am 12.06.2013 vor den Senatoren des Geldbewilligungsausschusses stattfand:
Herr Leahy (Demokraten, Vermont) stellte Herrn Alexander die Frage: "Es ist also korrekt, dass wir Millionen über Millionen über Millionen Datensätze horten und ein Dutzend davon hat sich als entscheidend erwiesen?"

Herr Alexander antwortete mit: "Ja."

Herr Leahy fragte weiter: "Würden Sie uns bitte die spezifischen Fälle nennen, über die Sie hier sprechen?"

Herr Alexander: "Das werden wir dem Geheimdienstausschuss morgen mitteilen. Das amerikanische Volk soll wissen, dass wir hier Transparenz walten lassen."

Herr Leahy: "Nein, Sie eröffnen den Amerikanern gar nichts, Sie zeigen allein ausgewählten Kongressmitgliedern geheimes Material, richtig?"

Herr Alexander: "Wir wollen beides tun, auch Material veröffentlichen."

Herr Leahy: "Kriegen Sie das innerhalb einer Woche hin?"

Herr Alexander: "Ich bemühe mich."...

Das einzig Transparente wird auch hier wieder der immer gleiche Ablauf dieser politischen Rituale sein, wenn es den Politikern darum geht, zu retten, was noch zu retten ist.


(Quellen: South China Morning Post vom 14.06.2013 [engl.], netzpolitik.org vom 13.06.2013, Spiegel vom 13.06.2013 - US-Geheimdienst: NSA-Chef verteidigt Schnüffelaktion, Spiegel vom 13.06.2013 - FBI-Ermittlungen: Edward Snowden auf der Flucht, AVAAZ vom 12.06.2013, Spiegel vom 12.06.2013, Frankfurter Allgemeine vom 12.06.2013, Frankfurter Allgemeine vom 10.06.2013, Spiegel vom 10.06.2013, Süddeutsche Zeitung vom 09.06.2013, taz vom 07.06.2013)

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