Freitag, 17. August 2012

Mit chemischen Kampfstoffen gegen winzige Feinde

Giftiger Regen ("Weltspiegel" vom05.08.2012)

Wenn die Helikopter kamen fiel giftiger Regen auf die Felder und auf die Menschen. Mindestens 6000 Menschen sind unheilbar erkrankt und hunderte sind schon gestorben. Unverhältnismäßig viele Kinder wurden mit spastischen Lähmungen, Missbildungen und geistigen Behinderungen geboren ...

Das ist nicht etwa ein Horrorszenario aus der dunklen Vergangenheit des Vietnam-Kriegs und es ist auch nicht die Rede vom berüchtigten dioxinhaltigen Entlaubungsmittel "Agent Orange", das die US-AirForce dort über den Wäldern versprühte, um den Soldaten Nordvietnams die Deckung zu nehmen. Dennoch handelt es sich gewissermaßen um einen Krieg mit einem chemischen Kampfstoff.

Die Rede ist von einem Krieg gegen winzig kleine Feinde. Bildlich gesehen, wurde in diesen Krieg mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Sofern sie sich überhaupt zu einem Schuldeingeständnis hinreißen ließen, würden heutige Generäle die menschlichen Opfer in ihrem Sprachgebrauch wohl bestenfalls als "bedauerliche Kollateralschäden" rechtfertigen. Erschreckenderweise ist dieser verharmlosend gemeinte Ausdruck scheinbar aber auch im Sprachgebrauch der Agrarfliegerei nicht unüblich.

Die Folgen der jahrzehntelangen chemischen Insektenbekämpfung sind bittere Realität im Alltag vieler Familien in Kerala, einem Bundesstaat von Indien. Mehr als 20 Jahre lang wurde das Schädlingsbekämpfungsmittel "Endosulfan" aus der Luft auf Cashew-Nuss Plantagen versprüht. Einen Schutz für die Bevölkerung gab es nicht. Es dauerte lange, bis sich der Widerstand formierte. Jetzt protestieren seit einigen Monaten die Mütter kranker, missgebildeter Kinder vor der Regierung, die sie für die Endosulfan-Vergiftung verantwortlich machen. Darüber berichtete der Weltspiegel der ARD in einem seiner Beiträge vom 05.08.2012.


Anwendungsverbot
- mit mehrjährigen Übergangsfristen

In einer Mitteilung des Agrar-Presseportals heißt es, Endosulfan sei ein nervenschädigender Wirkstoff der in der Umwelt nur schwer abgebaut wird und insbesondere für die Schädlingsbekämpfung beim Anbau von Tee, Kaffee, Soja und Baumwolle Verwendung fände.

Das Gift reichere sich im Fettgewebe, in der Leber und den Nieren von Menschen und Tieren an und schädige die Gesundheit. Erst während ihrer Tagung vom 25. bis zum 29.04.2011 in Genf stimmte die fünfte Vertragsstaatenkonferenz zum Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe dem Verbot von Endosulfan für den Einsatz im Pflanzenschutz zu. Es tritt jedoch mit mehrjährigen Übergangsfristen in Kraft. Es ist also zu befürchen, dass wider besseres Wissen auch weiterhin mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden wird und dass weitere, neue "Kollateralschäden" der Agrarfliegerei zu bedauern sein werden.

Endosulfan stammt aus der Giftküche des deutschen Chemiekonzerns "Hoechst". In Indien wurde es von den dortigen Unternehmen "Excel Industries" und "Hindustan Chemicals" unter der Patentlizenz der deutschen Firma "Bayer Cropscience" produziert. Endosulfan wird der Gruppe der "persistenten organischen Schadstoffe" (POPs, persistent organic pollutants) zugeordnet. Darunter versteht man organische Chemikalien, die sich im Körper vom Menschen, Tieren und Pflanzen anreichern und die ein hohes Potential zum weiträumigen Transport aufweisen. Aufgrund dieser Eigenschaften stellen POPs ein globales Problem dar, das nur mit international verbindlichen Abkommen in den Griff zu bekommen ist. Wie unberechenbar Endolulfan sich verbreitet lässt sich zum Beispiel daran erkennen, dass Spuren davon in der gesamten Bio-Sojaernte brasilianischer Kleinbauern festgestellt wurden. Die Bauern setzen seit mehr als dreißig Jahren auf biologische Landwirtschaft. - Die Anwendung von Endosulfan gehört dabei gewiss nicht zu ihren Methoden. - Aber jetzt bedroht das Gift ihre Existenz. Dass Endosulfan in der Atmosphäre in weit entfernte Gebiete transportiert wird, ist durch in der Arktis nachgewiesene Spuren belegt.

In Europa ist Endosulfan bereits seit 2005 verboten. In Indien existierten dem Weltspiegel zufolge zum Zeitpunkt des Verbots noch mehr als 1000 Tonnen Endosulfan. Trotz des weltweiten Anwendungsverbots habe Indiens Oberstes Gericht den Export von Endosulfan für rechtens erklärt. Große Mengen seien schon nach Bangladesch, Argentinien, Brasilien und Ecuador geliefert worden. Wer aber gibt schon viel Geld für den Import eines chemischen Insektenbekämpfungsmittels aus, wenn er es nicht anwenden will?


Fehlernährung: Es ist nicht, was nicht sein darf

Für die von der großflächigen, systematischen Vergiftung ihrer Umwelt betroffenen Menschen in Kerala kommt das Verbot jedoch viel zu spät. Dem Weltspiegel zufolge hat die Natur derart gelitten, dass es Generationen dauern wird, bis sie sich von der Vergiftung erholt haben wird. Dabei sind die weitergehenden Spätfolgen überhaupt noch gar nicht absehbar. Das Umweltinstitut München zitiert dazu Herrn Dr. Mohanan Kumar (Arzt, Bundesstaates Kerala, Indien) mit den Worten (Zitat): "Es gibt keine Hilfen für die Spätfolgen. Das Gift wirkt sich auf das Erbgut aus und wird in den nächsten Generationen weiterhin wirken. Die dann auftretenden Symptome wird niemand mehr in Zusammenhang mit Endosulfan stellen. Es wird die Betroffenen zu einem Leben als Bettler auf die Straße zwingen."

Trotz alledem klagen indische Pflanzenschutzmittel-Produzenten gegen das Endosulfan-Verbot. Wenn sie mit ihrer Klage Erfolg haben (wovon sie wohl ausgehen), wollen sie die Produktion wieder aufnehmen: In ihren Lagern horten sie noch Grundstoffe für die Produktion von vier Millionen Litern Endosulfan!

Wie dem Beitrag des Weltspiegels zu entnehmen war, hält ihr Präsident das Verbot für ein großes Unrecht. Schließlich sei Endosulfan für Mensch und Umwelt ungefährlich. Daher seien die Menschen in Kerala auch nicht durch das Pflanzenschutzmittel erkrankt. Herr Pradeep Dave (Chemische Industrie Indiens, Präsident) meint, er habe eine Menge Symphatie für die Menschen in Kerala. Es sei jedoch nicht zu akzeptieren, dass die Erkrankungen auf den langjährigen, großflächigen Endosulfan-Einsatz zurückgeführt werden; (Zitat): "Ich bin kein Techniker, aber ich kann sagen: Fehlernährung und Inzucht. Das sind die Gründe." Er hätte genausogut sagen können: "Ich bin kein Techniker, aber ich kann sagen: Es ist nicht, was nicht sein darf!"

Wenn Herr Pradeep Dave bei "Fehlernährung" an mit Endosulfan kontaminierte Lebensmittel denkt, dann wird er damit sicherlich nicht falsch liegen. Möglicherweise hält er aber "Inzucht" für die wahrscheinlichere Ursache der Erkrankungen ...


Zum Weiterlesen:


„Endosulfan ist ein tödliches Gift. Im Einsatz tötet es,
was immer kriecht und fliegt. Es ist erfunden worden,
um zu töten."

(Dr. Mohanan Kumar im ARD-Weltspiegel)
 

(Quellen: Süddeutsche Zeitung vom 14.06.2012, Weltspiegel vom 05.08.2012, Agrar-Presseportal vom 04.05.2011, CBG-Network vom Januar 2011, Greenpeace vom 11.08.2010, ARD-Mediathek "Giftiger Regen", Umweltinstitut München, Wikipedia, UBA)

1 Kommentar:

Elfe hat gesagt…

Wahnsinn!!!

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