Mittwoch, 15. August 2012

Das endlose Land

Große Wildtierherden durchstreifen die Serengeti auf ihren saisonalen Wanderungen
Die Serengeti ist eine Savanne, die östlich des Victoria-Sees im Süden Kenias und im Norden Tansanias etwa 30000 Quadratkilometer umfasst. 14763 Quadratkilometer davon entfallen auf den Serengeti-Nationalpark, der seit 1981 Teil des Weltnaturerbes der UNESCO ist. Die zentrale Savanne ist nahezu baumlos. Im Südosten der Serengeti liegt das nach dem gleichnamigen Vulkan benannte Ngorongoro-Schutzgebiet, das seit 1979 zum Weltnaturerbe gehört.

Die Serengeti ist ebenfalls das angestammte Seidlungsgebiet der Massai, einem Nomadenvolk, dass traditionell von der Viehzucht lebt. Der Name der Savanne entstammt ihrer Sprache. Serengeti bedeutet: "Das endlose Land".

Mehr als 2500 Jahre lang bot "das endlose Land" Raum für die Wildtiere der Savanne und für die Landwirtschaft der Massai. Das änderte sich erst mit dem Eindringen europäischer Siedler im 19. Jahrhundert und der infolge ihrer Lebensweise notwendig gewordenen Einrichtung von Wildschutzgebieten im vergangenen Jahrhundert.

Mitte des letzen Jahrhunderts hatte die Regierung Tanganyikas, aus dessen Zusammenschluss mit dem Inselstaat Sansibar im Jahre 1964 das heutige Tansania hervorging, die Massai aus dem Gebiet des Ngorongoro-Schutzgebiets vertreiben wollen, beugte sich dann aber dem Druck der Unabhängigkeitsbewegung. Infolgedessen sollte Wildtieren und jeder Bevölkerungsgruppe der Serengeti ein eigenes Gebiet zugewiesen werden. Der Ostteil der Serengeti sollte abgetrennt und den Massai überlassen werden. Damit hätte sich die Größe des Nationalparks auf weniger als die Hälfte der ursprünglichen Fläche verkleinert.

Der in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts duch seine Fersehsendung "Ein Platz für Tiere" bekannt gewordene Verhaltensforscher und Tierarzt Bernhard Grzimek und sein Sohn Michael setzten sich jedoch dafür ein, den Nationalpark in seiner bisherigen Einheit zu erhalten. Sie hatten die Wanderbewegungen der Wildtierherden in der Savanne untersucht und waren aufgrund ihrer Forschungsergebnisse zu dem Schluss gekommen, dass der Nationalpark zu klein werden würde, was in der Folge unweigerlich zur Zerstörung der Herdenwanderungen geführt hätte. International bekannt wurden Bernhard und Michael Grzimek durch ihren Dokumentarfilm "Serengeti darf nicht sterben" aus dem Jahr 1959, mit dessen Hilfe sie auf die zunehmende Zerstörung eines der letzten Wildparadiese Afrikas aufmerksam machen wollten.

Noch bevor Bernhard und Michael Grzimek ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht hatten, beschloss die damalige britische Kolonialverwaltung Tanganyikas, die nördlichen Ebenen zum Serengeti Nationalpark hinzuzufügen. Zum Ausgleich sollte den Massai das Ngorongoro-Schutzgebiet angeboten werden und es sollte ihnen erlaubt werden ihre Herden im Wildschutzgebiet zu weiden. 1975 fand dieses Übereinkommen ein Ende, als die Regierung Tansanias das ursprüngliche Vorhaben der damaligen Regierung Tanganyikas in die Tat umsetzte und die gesamte Agrarkultur aus dem Ngorongoro-Schutzgebiet verbannte.


Der Ausverkauf des "Endlosen Landes"

Männer vom Volk der Massai im Ngorongoro-Schutzgebiet (Tansania)
Schon seit längerer Zeit leiden die Massai unter der Einschränkung ihrer traditionellen Lebensweise ... - nicht nur aufgrund der Einrichtung der Nationalparks, sowie der Wild- und Naturschutzreservate. Das endlose Land ist heute von Staatsgrenzen zerteilt. Zunehmend kommt es durch die Regierungen afrikanischer Staaten, deren Gebiete heute Teile des angestammten Lebensraumes der Massai bedecken, zu Landverkäufen an private Investoren. Infolgedessen wird das Volk der Massai wird  in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt und aus seinen Territorien vertrieben.

Auch der Ausbau des Straßennetzes durch die Regierungen Kenias und Tansanias in und um die Savanne erschweren ihre traditionelle Lebensweise. die unter anderem in der Vergangenheit auch die große genetische Vielfalt ihrer Viehherden garantierte. Diesen droht möglicherweise das gleiche Schicksal der meisten in Gefangenschaft gehaltenen Rinder, die ohne Antibiotika nicht mehr überleben können und immer häufiger an genetisch bedingten Ursachen erkranken.

Im Juni 2010 machte die "Zoologische Gesellschaft Frankfurt von 1858 e.V." (ZGF) auf Presseberichte aus Tansania aufmerksam, denenzufolge die tansanische Regierung den Bau einer Fernstraße direkt durch die Wildnis der Serengeti plante. Die ZGF zeigte sich besorgt über die verheerende Auswirkungen der geplanten Straße auf das gesamte Ökosystem der Serengeti und schlug eine alternative Trassenführung für eine neue Straße vor. Mehrjährige internationale Proteste bewegten die Regierung Tansanisas, das Straßenbauprojekt zu stoppen.


Vertreibung aus dem endlosen Land

Frauen und Kinder der Massai im Osten der Serengeti
Dank der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit konnte der Lebensraum der großen Wildtierherden und  "das Erbe der Grzimeks" vor der Zerstörung bewahrt werden. Jetzt benötigen die Menschen unsere Unterstützung. Vertreter der Massai haben das internationale demokratische Netzwerk AVAAZ eindringlich gebeten, weltweit Alarm zu schlagen und ihr Land zu retten.

Bis zu 48000 Menschen in Tansania sind von der Vertreibung von ihrem Land bedroht, weil die Regierung Tansanias Platz für von Konzernen gesponserte Großwildjagden Platz schaffen will. Ein Landverkauf, der die Massai von ihrem Land vertreiben würde, damit reiche, zahlungskräftige Großwildjäger ungestört ihrem blutigen Hobby nachgehen können, wäre nicht nur für die betroffenen Gemeinschaften schlimm, sondern auch für die Tierwelt vor Ort. In Kenia und Tansania spielt die Agrarkultur der nomadisierenden Massai eine wichtige Rolle beim Schutz des empfindlichen Ökosystems der Serengeti.

Es ist nicht das erste Mal, dass Angehörige der Massai zugunsten reicher Jäger brutal aus ihrer angestammten Heimat vertrieben wurden. Am 20.08.2009 berichtete die Organisation "Survival International", die sich für die Rechte indigener Völker einsetzt, über die Zerstörung von acht Dörfern der Massai in der Region Loliondo (Tansania). Nachdem die Dörfer am 4. Juli 2009 von schwer bewaffneten tanzanianischen Bereitschaftspolizisten niedergebrannt worden seien, seien die 3000 Bewohner der ehemaligen Dörfer - ohne Nahrung, Wasser oder Obdach - ihrer Lebensgrundlage beraubt gewesen und ihr Vieh habe unter der Dürre gelitten.

Survival erreichten ebenfalls Besorgnis erregende Berichte über Vergewaltigungen und körperlich schweren Misshandlungen von Maasai-Frauen während der Vertreibungen. Als misshandelte Frauen der Maasai in Loliondo gegen die gewaltsame Vertreibung demonstrierten, sei ihnen gesagt worden, sie hätten kein Recht zu protestieren. Gegenüber den Führern der örtlichen Gemeinschaften habe es anonyme Drohungen gegeben und viele Maasai, die ihr Vieh innerhalb des OBC-Jagdgebietes weideten, seien inhaftiert worden.

Der "Geschäftspartner" der Regierung Tansainias, zu dessen Gunsten die Massai vertrieben wurden sei die "Otterlo Business Corporation" (OBC) gewesen, die bereits seit 1992 exklusive Safari- und Jagdrechte in Loliondo im nördlichen Tanzania besitze. Infolge der Jagdkonzession sei der Zugang der Maasai zu Weideland für ihr Vieh stark eingegrenzt worden, was zu anhaltenden Spannungen zwischen den Maasai und der OBC geführt habe. Berichten zufolge gebe es Verbindungen zwischen der OBC und den königlichen Familien der Vereinigten Arabischen Emirate. Im September 2010 erschien auf der Internetseite der Organisation "TourismWatch" ein mit dem Bericht von "Survival International" übereinstimmender Artikel über die Vertreibungen der Massai und deren Hintergründe von Ulrich Delius ("Gesellschaft für bedrohte Völker", Asien- und Afrikareferent).


Petition für die Rechte der Massai

Eine wichtige Einnahmequelle Tansanias ist der Tourismus. AVAAZ verweist darauf, dass die Missachtung von Menschenrechten, Gewalt gegen die eigene Bevölkerung und deren Vertreibung aus ihren angestammten Lebensräumen durch die Regierung nicht gut ankommen. Herr Kikwete (Tansania, Präsident) versuche deshalb das Thema von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Bis die Massai sich jetzt mit ihrem Hilferuf an die Weltöffentlichkeit gewandt haben, scheint im das offensichtlich recht gut gelungen zu sein. Wie AVAAZ berichtet, geht es auch im Falle der aktuell drohende Vertreibung von bis zu 48000 Angehörigen der Massai um ein geplantes "Geschäft" zwischen der Regierung Tansanias und der OBC bzw. den königlichen Familien der Vereinigten Arabischen Emirate.

Nachdem der zuvor erwähnte Landraub im Jahre 2009 über die Medien bekannt geworden war und weltweit für Empörung gesorgt hatte, habe Herr Kikwete das Ruder herumgerissen und die Massai in ihre Heimat zurückkehren zu lassen. Um auch im aktuellen Fall wieder den notwendigen internationalen Druck herzustellen, der Herrn Kikwete veranlassen könnte, auch diesen Angriff auf die Rechte der Massai zu stoppen, hat AVAAZ eine Petition an die Regierung Tansanias initiiert.

Jeder, der sich für den Schutz der Rechte der Maasai und den für die Tiere der Serengeti zugunsten der Touristen einsetzen möchte, die Fotos schießen wollen anstelle von Trophäen, kann die Petition auf der Internetseite von AVAAZ online unterzeichnen.

Die Petition im Wortlaut:
An Präsident Jakaya Kikwete:

Als Bürger der Welt rufen wir Sie dazu auf, jeglichen Versuch, die Massai von ihrem Stammesland zu vertreiben oder sie umzusiedeln, um Platz für ausländische Jäger zu schaffen, abzulehnen. Wir zählen darauf, dass Sie sich für die Rechte Ihrer Bürger einsetzen und Versuche, deren Landrechte gegen ihren Willen zu ändern, aufhalten.


Übrigens ...

... leben die Massai in ihrem bedrohten Paradies nicht "nur so vor sich hin". Sie bemerken sehr wohl, dass auch die Rechte anderer indigener Völker verletzt werden und treten auch für deren Rechte ein. So protestierten die Massai zum Beispiel gemeinsam mit den Innu, einem indigenen Volk aus dem Osten Kanadas, im Jahre 2004 vor dem Hochkommissariat von Botswanain in London für die Rechte der "Buschmänner" (richtiger: San) in der Kalahari, einer Halbwüste im Süden des afrikanischen Kontinents.

„Diese letzten Reste des afrikanischen Tierlebens sind ein kultureller Gemeinbesitz der ganzen Menschheit, genau wie unsere Kathedralen, wie die antiken Bauten, wie die Akropolis, der Petersdom und der Louvre in Paris. Vor einigen Jahrhunderten hat man noch die römischen Tempel abgebrochen, um aus den Quadern Bürgerhäuser zu bauen. Würde heute eine Regierung, gleich welchen Systems, es wagen, die Akropolis in Athen abzureißen, um Wohnungen zu bauen, dann würde ein Aufschrei der Empörung durch die ganze zivilisierte Menschheit gehen. Genau so wenig dürfen schwarze oder weiße Menschen diese letzten lebenden Kulturschätze Afrikas antasten. Gott machte seine Erde den Menschen untertan, aber nicht, damit er sein Werk völlig vernichte.
(Filmkommentar aus "Serengeti darf nicht sterben")


Fotos: Copyright by David Dennis, David Berkowitz und Steve Pastor

(Quellen: AVAAZ vom 12.08.2012, taz vom 24.06.2011, Tourism Watch vom September 2010, Die Zeit vom 22.07.2010, Zoologische Gesellschaft Frankfurt vom 15.06.2010, Survival International vom 20.08.2009, vom 29.09.2009 und vom 20.05.2004, Gesellschaft für bedrohte Völker, Wikipedia )

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