Sonntag, 3. Juli 2016

Die Kinder vom Pausenhof - ein Kommentar

Im aktuellen "Stern" Nr. 27 vom 30.06.2016 gibt es eine Reportage über "Die Kinder vom Pausenhof". Frau Kluin beschreibt darin die Situation der Kinder im Goethe-Quartier des Bremerhavener Stadtteils Lehe so, dass man meinen könnte, im Goethe-Quartier gäbe es ausschließlich Kinder, die weit unterhalb der Armutsgrenze und in prekären Verhältnissen aufwachsen müssen

In der Einleitung heißt es (Zitat): "Bremerhavens Goetheviertel ist eines der ärmsten Quartiere Deutschlands. Seine Kinder wachsen in Elend und Unsicherheit auf - und ohne Vertrauen in eine bessere Zukunft."

Der Kern dieser Aussage zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Reportage. Alle diese Kinder entwickeln demzufolge ein gestörtes Sozialverhalten. Frau Kluin zitiert dazu einige Kinder (Zitat): "Ich war in der Therapie." - "Meine Schwester ist im Heim." - "Ja, ich rede immer in diesem Ton, nur nicht mit meinen Eltern, sonst schlagen die micht tot." - "Nein, meine Mutter brauchst du nicht fragen, ob ihr mich fotografieren dürft, die hat nichts mehr zu sagen, das macht mein Vormund vom Jugendamt."

Das wird bei den Lesern, die nur in der Zeitung über das Goethe-Quartier lesen, selbst aber nie dort waren, sicher so ankommen, wie wenn sie in einer andern Zeitung (wieder einmal) einen Artikel lesen, der den Eindruck erweckt, dass es im Goethe-Quartier überwiegend leerstehende Schrottimmobilien und im Verfall begriffene Altbauten gibt.

Frau Kluin wird sich die Aussagen der Kinder sicher nicht selbst ausgedacht haben. Es gibt jedoch auch andere Wahrheiten, über die sie aber kein Wort verliert. Meine Kinder sind beispielsweise ebenfalls im Goethe-Quartier aufgewachsen, haben im Garten unserer Erdgeschosswohnung gespielt, haben - als sie älter waren - nachmittags ihre Freunde besucht, haben beide ihr Abitur bestanden und anschließend studiert. Und sie sind nicht die einzigen Kinder, die unter anderen Umständen im Goethe-Quartier groß geworden sind. Es gibt noch mehr solche Kinder die allerdings in der Reportage von Frau Kluin nicht vorkommen.

Es ist auch nicht wahr, dass ausschließlich arme Kinder, oder solche, die sich aus Angst vor Repressalien nicht nach Hause trauen, den "Rückenwind für Leher Kinder" aufsuchen. Der Sohn unserer Nachbarn beispielsweise wächst ebenfalls in keiner Hartz-IV-Familie auf. Er geht nachmittags zum "Rückenwind", weil er dort seine Freunde trifft, mit denen er spielt bastelt etc. - und weil es ihm dort schlicht und einfach gut gefällt.

Eine ausgewogene Reportage ist das nicht, die Frau Kluin und ihre Kollegin Och (Fotos) da abgeliefert haben. Eine ausgewogene Reportage hätte auch die Kinder und ihre Eltern zu Wort kommen lassen, die nicht am Rande des Existenzminimums leben müssen.

Wahr ist, dass im Goethe-Quartier verhältnismäßig viele Menschen von Hartz-IV abhängig sind. Aber es gibt dort eben auch die anderen Familien, auf die das nicht zutrifft. Außerdem wird es nicht nur Alkoholiker und Schläger unter den von Hartz-IV abhängigen Eltern geben. Zwar sind mir darüber keine Statistiken bekannt, aber es werden in den armen Familien mit Sicherheit auch viele liebevolle Eltern anzutreffen sein, die alles in ihrer Macht stehende unternehmen, damit ihre Kinder glücklich und den materiellen Umständen entsprechend zufrieden aufwachsen können.

Außerdem werden Alkoholiker, Choleriker oder brutale Schläger auch unter den Eltern richtig reicher Familien zu finden sein. Und deren Kinder sind dann auch nicht besser dran, als die Kinder materiell armer Familien, die von ihren Eltern schlecht behandelt werden.

Mit einer ausgewogenen Reportage, die auch derartige Wahrheiten berücksichtigt hätte, wäre aber wohl weniger Aufmerksamkeit bei den "Stern"-Lesern zu erreichen gewesen. - Und das wäre dann auf die Dauer sicher schlecht für die Auflage.

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