Freitag, 5. Februar 2016

Atomare Bedrohung aus Belgien

Heute so aktuell wie damals (Anti-Atom-Demo in Berlin am 18.09.2010)
Der Electrabel-Konzern betreibt in Belgien an den Standorten Doel und Tihange insgesamt sieben Atomreaktoren. Die Atomkraftanlage "Tihange" liegt mit ihren drei Druckwasserreaktoren etwa 25 Kilometer südwestlich von Lüttich in der Region Huy an der Maas. Bis Aachen sind es 70 Kilometer. Die in der gleichnamigen Region an der Schelde gelegene Atomkraftanlage "Doel" umfasst vier Druckwasserreaktoren. Bis zu den südwestlich beziehungsweise südlich davon gelegenen Großstadt-Regionen Antwerpen und Brüssel sind es nur 15 beziehungsweise 42 km Kilometer.

Trotz massiver Proteste der Bürger in Belgien und aus den umliegenden EU-Staaten hat das belgische Parlament kürzlich grünes Licht für Wiederanfahren zweier uralter Atommeiler gegeben, die immer wieder durch Pannen und Unfälle auffallen. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang, dass bei Untersuchungen in den Reaktoren beider Atomanlagen mehr als 16000 Risse festgestellt wurden.

Während der Reparatur einer defekten Schweißnaht im dritten Reaktorblock der Atomkraftanlage "Doel", durch die während der Weihnachtsfeiertage Wasser ausgelaufen war, entdeckten die Techniker am Morgen des 28.12.2015 an einer anderen Stelle einen Defekt an einem Schalter, der für die Stromversorgung der Anlage wichtig ist. Die Folge: Der Reaktor musste heruntergefahren werden und lieferte über einen Zeitraum von mehreren Tagen keinen Strom. Nachdem der Reaktorblock aufgrund von Sicherheitsbedenken infolge der festgestellten Haarrisse im Reaktorbehälter seit März 2014 außer Betrieb gewesen war, hatte Electrabel ihn erst sieben Tage zuvor wieder ans Netz genommen.

In der Atomkraftanlage "Tihange" bei Lüttich hatte vor Weihnachten eine Schalttafel gebrannt. In den vorangegangenen Monaten wurden Störfälle infolge von Sabotage, unaufmerksamer Mitarbeiter und der Entdeckung tausender Haarrisse in den Druckbehältern einzelner Blöcke gemeldet. Nach Informationen des internationalen demokratischen Netzwerks AVAAZ sollen sich einige der Risse "an einer der empfindlichsten Stellen" des Reaktors befinden. Ebenso wie "Doel 3" war auch "Tihange 2" seit der Entdeckung der Risse im Reaktor lange Zeit außer Betrieb gewesen. In einer aktuellen E-Mail an den Verteiler des Netzwerks heißt es, im Falle eines Druckverlustes im Reaktor könne es zu einen Unfall kommen, der ähnliche Ausmaße erreichen könne, wie die diejenigen in "Tschernobyl" (Ukraine, April 1986) oder "Fukushima" (Japan, März 2011).


Damit die Lichter nicht ausgehen

Die politisch Verantwortlichen in Belgien begründen ihre Entscheidung für die Erteilung der Betriebsgenehmigung über einen Zeitraum von weiteren 10 Jahren von Anfang Dezember 2015 damit, dass das Land für die Stromversorgung aus der Atomkraftanlage "Tihange" angewiesen ist. Dass diese Behauptung falsch ist, zeigt die Tatsache, dass die beiden beiden Blöcke des Atomkraftwerks "Tihange" während der letzten beiden Jahre in der Hälfte der Zeit aufgrund von Störungen nicht am Netz waren. Und die Lichter in Belgien sind trotzdem nicht ausgegangen.

Wir kennen diese Spielchen mit dem atomaren Feuer auch hierzulande zur Genüge:
  • "Laufzeitverlängerung" - damit die Lichter nicht ausgehen
  • "Atomausstieg" und Stillegung der Hälfte der damals in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke als Reaktion auf den Super-GAU in der japanischen Atomkraftanlage "Fukushima-I" (Dai-ichi)

und die Lichter leuchten auch heute noch - mehr und mehr allerdings mit Strom aus regenerativen Energiequellen. Und: Würde die Bundesregierung nach dem Willen der Mehrheit ihrer Wähler regieren und den Umbau der Energieversorgung konsequent vorantreiben, anstatt die Interessen der Atom-Konzerne und der fossilen Industrie durchzusetzen, dann könnten wir heute bereits auch auf den Rest der deutschen Atomkraftwerke verzichten.


Mit dem Alter wächst das Risiko

Die 25 ältesten Atommeiler in Europa sind seit rund vierzig Jahren in Betrieb. In 10 Jahren werden einige der belgischen Reaktoren 50 Jahre alt sein. Die Dokumentation der Störfälle in den Atomkraftwerken belegt eine Zunahme der Häufigkeit analog zum Alter der Atomanlagen. Mit dem Alter der Meiler wächst somit die Gefahr, dass es irgendwann zu einem schwerwiegenderen Störfall kommen könnte, der sich nicht mehr mit technischen Mitteln beherrschen ließe. Dann wären wir mit einem Super-GAU in unserer direkten Nachbarschaft konfrontiert - im Falle von "Tihange" oder "Doel" träfe es ein dichtbevölkertes Gebiet im Herzen Europas: Nicht nur in Belgien - auch in Deutschland und weiteren EU-Staaten wären davon viele Millionen Menschen betroffen.

Wie die Tagesschau der ARD am 28.12.2015 berichtete, erklärte der Electrabel-Konzern nach jedem der in der Öffentlichkeit bekannt geworden Störfälle, dass diese sich im nicht-nuklearen Teil der Anlagen ereignet hätten. Was Electrabel nicht erklärte: Störfälle in nicht-nuklearen Anlagenteilen können sich durchaus auch auf den Betrieb des nuklearen Teils einer Atomanlage auswirken. Welche Folgen das haben kann, ist spätestens seit dem Super-GAU in der japanischen Atomanlage "Fukushima-I" wohl allgemein hinlänglich bekannt.

Das "Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie" schreibt in einer E-Mail an seinen Verteiler, der Atomkonzern "Electrabel" sorge mit ständigen Pannen und Notabschaltungen selbst dafür, dass der Katastrophenschutz im Westen Deutschlands und in den südlichen Niederlanden zum Topthema geworden ist. Auch deutsche Politiker haben die Entscheidung der belgischen Atompolitik inzwischen kritisiert.


Brennstäbe aus Deutschland

In einem Artikel vom 28.12.2015 zitiert die Tagesschau der ARD auf ihrer Internetseite Herrn Calvo (Grüne, Fraktionschef) mit den Worten (Zitat): "Jede Woche, jeden Monat wieder ein neuer Zwischenfall. Die Anlagen sind einfach zu alt. Es wird Zeit in erneuerbare Energien zu investieren." In Anbetracht der Nähe der belgischen Atomstandorte zu Deutschland spreche seine Parteikollegin Frau Höhn (Grüne, Vorsitzende des Bundestagsumweltausschusses) von einer "Gefahr für die Menschen auch in Deutschland". Offensichtlich sei den politisch Verantwortlichen in Belgien die Versorgungssicherheit wichtiger als die Sicherheit der Menschen. Frau Hendricks (SPD, Bundesumweltministerin) müsse persönlich mit ihrer Amtskollegin in Brüssel reden - nur so könne man genug Druck ausüben. Frau Hendricks selbst habe zuletzt von "Flickschusterei" in Belgien gesprochen.

In der E-Mail des "Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie" heißt es, über die kritischen Äußerungen hinaus sei von deutschen Politikern aber im allgemeinen nicht viel zu erwarten: Der Umgang mit den Atomkraftanlagen "Doel" und "Tihange" sei eine innerstaaliche Angelegenheiten Belgiens. Da könne man sich nicht einmischen.

Das Aachener Aktionsbündnis kommentiert derartige Ausflüchte mit dem Worten (Zitat): "Da können wir nachhelfen: Die Brennelemente für die alten belgischen Schrottreaktoren werden in der deutschen Brennelementefabrik in Lingen (Emsland) produziert. Lokale Initiativen fordern den Rückzug der Ausfuhrgenehmigungen." Ende Januar/Anfang Februar 2016 demonstrierten Atomkraftgegener in Lingen und Aktivisten blockierten die Zufahrt zur Atomfabrik. Mit einer Mahnwache am Aachener Elisenbrunnen demonstrierte das "Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie" seine Solidarität mit den Aktionen im Emsland.

Betreiber der Brennelementefabrik in Lingen ist die "Advanced Nuclear Fuels GmbH", eine Tochter des französiches AREVA-Konzerns, der sich anderenorts mit der Produktion von Windkraftanlagen grünzuwaschen versucht. Nach dem Willen der Bundesregierung werden in Lingen auch dann noch Brennelemente für den Betrieb von Atomkraftwerken in aller Welt prodiziert werden, nachdem hierzulande das letzte Atomkraftwerk stillgelegt worden ist.
  • Solange sich daran nichts ändert, bleibt der sogenannte "Atomausstieg" Deutschlands eine Farce!


Klagen von Regionen in Nachbarländern

Deutlicher ist der Widerstand in den von einem möglichen Super-GAU in Belgien betroffenen Regionen im Westen Deutschlands. In einer Pressemitteilung der Stadt Köln vom 03.02.2016 heißt es, der Rat der Stadt Köln fordere die sofortige und endgültige Stilllegung der belgischen Atomkraftwerke "Tihange" und "Doel" (Zitat):
"Beide Anlagen waren wegen Rissen in den Reaktorbehältern im Frühjahr 2014 abgeschaltet worden und sollten eigentlich nach 40 Jahren Laufzeit bereits 2015 vom Netz gehen. Zwischenzeitlich wurde die Laufzeit der Anlagen, wegen einer angeblich fehlenden Versorgungssicherheit, um zehn Jahre bis 2025 verlängert. Nunmehr vertritt die AFCN die Auffassung, die Risse seien keine Gefahr für die Sicherheit der Reaktoren und hat das Wiederanfahren genehmigt. Selbst Atomkraftbefürworter halten dies für unverantwortlich."

Darüberhinausgehend hat die Städteregion Aachen beschlossen, mit einer Klage vor dem höchsten belgischen Verwaltungsgericht gegen die Wiederaufnahme des Betriebs des Reaktorblocks "Tihange 2" vorzugehen. Wie das Magazin "Heise Online" in einem Artikel vom 03.02.2016 schreibt, will sich die Städteregion außerdem an einer Klage der belgischen Sektion der internationalen Umweltschutzorganisation "Greenpeace" gegen die Laufzeitverlängerung von "Tihange 1" beteiligen.

Inzwischen unterstützten fünf Kreise in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sowie fünf niederländische Kommunen die geplanten Klagen. Die Stadt Köln bekräftigt in ihrer Pressemitteilung ausdrücklich ihre Unterstützung für die juristischen Bemühungen der Städteregion Aachen zur Erwirkung einer besonderen Informations- und Auskunftspflicht gegenüber dem Betreiber der Anlagen und dem belgischen Staat.


Online Aktionen

Gegen die Betriebsverlängerung für die belgischen Atomanlagen und das Wiederanfahren der Schrottreaktoren mit den Haarrissen wenden sich Online-Aktionen des "Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie" auf der Petitionsplattform "Change.org" und des internationalen demokratischen Netzwerks AVAAZ.

AVAAZ:
An die belgische Regierung, sowie die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks und alle betroffenen Regierungen in der Europäischen Union:

Als besorgte europäische Bürger, fordern wir Sie auf, umgehend alle notwendigen Schritte einzuleiten, um eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung der Reaktoren in Doel und Tihange unter der europäischen UVP-Richtlinie und der Espoo-Konvention der Vereinten Nationen durchzuführen. Dies ist ausschlaggebend, um die gefährlichen Reaktoren aufgrund der Sicherheitsbedenken abzuschalten, die durch zahlreiche Lecks, Risse und sogar Sabotageversuche entstanden sind. Die öffentliche Sicherheit hat erste Priorität.


Aachener Aktionsbündnisses gegen Atomenergie:
Bei einer Revision im August 2012 wurden in zwei Reaktordruckbehältern (RDB) der belgischen AKW Doel und Tihange tausende Risse entdeckt. Noch bevor alle erforderlichen Prüfungen durchgeführt waren, wurden im Juni 2013 die über 30 Jahre alten Reaktoren wieder angefahren!

Als die fehlenden Prüfergebnisse vorlagen, waren diese dermaßen schlecht, dass die Reaktoren im März 2014 außerplanmäßig herunter gefahren wurden. Nun will der Betreiber (Electrabel) die beiden Blöcke wieder anschalten, obwohl alle bisher bekannt gewordenen Untersuchungsergebnisse höchst beunruhigend sind:

Die neuesten Ultraschalluntersuchungen zeigen 60% mehr Defekte. Die Risslängen sind mittlerweile von 2,5 cm auf unglaubliche 18 cm gestiegen.
Versuche im Kernforschungszentrum Mol führten zu einem „unerwarteten Resultat“ (O-Ton Electrabel): Ein mit Rissen vorbelasteter Stahl versprödet bei radioaktiver Bestrahlung um ein Vielfaches schneller als ein Material ohne Defekte. Es wurden bei den Versuchen die vom Betreiber einkalkulierten Sicherheitsmargen gravierend überschritten.

Weitere Informationen: www.stop-tihange.org

Wir appellieren an Sie in der FANC sich FÜR die Sicherheit von Millionen Menschen zu entscheiden.

Denn: Für uns als betroffene Bürger und Bürgerinnen im Umkreis dieser Reaktoren gilt: Solange ...
  • die Ursache der Risse in den beiden RDB nicht zweifelsfrei geklärt ist und eine Veränderung der Rissgrößen im laufenden Betrieb nicht definitiv ausgeschlossen werden kann, 
  • die Bestrahlungsversuche befürchten lassen, dass die Versprödung des rissigen Stahls der RDB nach über 30 Betriebsjahren die zulässigen Grenzwerte bereits überschritten hat, 
  • kein Nachweis existiert, dass „Reaktoren mit Rissen“ ein gleiches Sicherheitsniveau wie „Reaktoren ohne Risse“ besitzen,

dürfen TIHANGE 2 und DOEL 3 – NICHT WIEDER ans Netz.

Wir wissen, dass die Folgen eines Super-GAU bei den beschädigten Reaktoren nicht an der belgischen Landesgrenze halt machen werden, sondern auch die BürgerInnen im benachbarten Ausland treffen werden.


(Quellen: Heise Online vom 03.02.1016, Stadt Köln - Pressemitteilung vom 03.02.2016, .ausgestrahlt vom 01.02.2016, Neue Osnabrücker Zeitung vom 31.01.2016, Stadt Aachen - Pressemitteilung vom 21.01.2016, ARD-Tagesschau vom 28.12.2015, Die Zeit vom 27.12.2015, Die Welt vom 25.12.2015, AVAAZ, Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie, Wikipedia )

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